■ Rechtzeitig zum Fest: Ratgeber Amoklauf
Der traditionelle Amoklauf unterm Tannenbaum: Ein weihnachtliches Brauchtum, das sich vor allem bei deutschen Familienvätern einer stetig wachsenden Beliebtheit erfreut. Alle Jahre wieder dreht einer durch. Auch in diesem Jahr haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes einige Deutsche angekündigt, an Weihnachten ihre gesamte Familie auszulöschen. Doch Achtung! Nur eine gründliche Vorbereitung garantiert den Erfolg. Technik und Taktik des Amoklaufs wollen gelernt und trainiert sein. Deshalb rechtzeitig vor dem Fest allen potentiellen Amokläufern unter den taz-Lesern noch ein paar todsichere Tips und Kniffe – schließlich soll Ihr weihnachtliches Massaker doch gelingen.
1. Die mentale Vorbereitung
Neben der körperlichen Fitneß ist vor allem ein mentaler Check-up für einen erfolgversprechenden Amoklauf unentbehrlich. Prüfen Sie also sich und ihr Umfeld aufrichtig: Sind Sie überhaupt ein potentieller Amokläufer, also ein bislang unbescholtener Bürger mit eintönigem Berufs-, Liebes- und Familienleben sowie einer gelegentlichen Neigung zum Jähzorn? Gelten Sie als rührend um die Kinder besorgter Vater, und brechen Sie oft grundlos in Tränen aus? Bringen Sie Ihrer Frau am Hochzeitstag Blumen mit, lebt Ihre Schwiegermutter mit im Haus? Trifft dies alles ganz oder teilweise auf Sie zu, sind Sie der geborene Amokläufer. Glückwunsch.
2. Das Motiv
Braucht ein Amokläufer ein Motiv? Eher nicht. Amokläufe zeichnen sich in der Regel durch große Sinnlosigkeit aus. Niemand darf verstehen, warum Sie Ihre Familie meucheln, am wenigsten Sie selbst. Also grübeln Sie nicht lange, sondern schreiten Sie frisch zur Tat. Und bitte nie etwas schriftliches hinterlassen, das stiftet nur unnötig Verwirrung und gilt z. B. auch für Ihr taz-Abo, das Sie vor Ihrem Amoklauf nicht schriftlich kündigen sollten. Unsere Abo-Abteilung würde dann nämlich die Behörden über Ihr Vorhaben informieren.
Falls Sie dennoch eine Motivation benötigen, dann stellen Sie sich einfach ein normales Weihnachtsfest im Kreise der Lieben vor. Schließen Sie dazu jetzt die Augen! Was sehen Sie im Geiste? Etwa, wie Sie, die Flasche Schampus schwingend, eine Rotte halbnackter und vor Vergnügen kreischender Girlies um den Tannenbaum jagen? Oder doch eher, wie Sie in Unterhemd und Pantoffeln, Flasche Bier im Anschlag, dumpf vor dem Christbaum hocken, während die Kinder besinnungslos in den Fernseher starren, die Schwiegermutter auf dem Sofa schnarcht und Ihre Gattin Ihnen Ihr Geschenk, eine gräßliche Krawatte, anhält? Spätestens bei diesem Anblick sollten Sie mit dem sofortigen Amoklauftraining beginnen. – Ach so, die Augen können Sie jetzt natürlich wieder öffnen.
3. Tempo und Kondition
Wer glaubt, er könne mal eben seine Familie mit „links erledigen“, irrt. So ein Massaker gestaltet sich anstrengender als Sie denken. Ausdauer- und Krafttraining ist angesagt. Und vor allem schnell müssen Sie sein. Unterschätzen Sie nicht das Fluchttempo Ihrer Opfer. In Todesangst rennt sich's oft doppelt schnell. Den 100-Meter- Amoklauf sollten Sie deshalb in wenigstens 15 Sekunden bewältigen (Start-Ziel-Sieg).
4. Die Tatwaffe
Schießen, sprengen, stechen oder hauen? Auch diese Frage muß der potentielle Amokläufer vor seiner Tat sorgfältig erwägen. Schußwaffen sind zwar effektiv, machen aber Lärm, der die Nachbarn unnötig belästigt. Und gerade das will man ja, erst recht zu Weihnachten, möglichst vermeiden. Auch auf den Einsatz von Sprengstoff sollte man daher eher verzichten. Bleiben Machete, Hammer oder Hackebeil. Oder wie wär's originellerweise mal mit der Tannenbaumspitze? Auch sonst sind der Phantasie des Amokläufers, gerade zu Weihnachten, keine Grenzen gesetzt. So könnte z. B. eine geschickt in den Schlund des Opfers gerammte Keule der Weihnachtsgans zum gewünschten Ergebnis führen. Entscheiden Sie selbst!
5. Die Tatzeit
Grundsätzlich gilt: Setzen Sie den Amoklauf nie vor dem Kirchgang am Heiligabend an. Falls nämlich Ihre Angehörigen entgegen der sonstigen Gewohnheit nicht und Sie selbst nur blutbesudelt am Weihnachtsgottesdienst teilnehmen, könnte Ihre Tat auffliegen, bevor Ihre Opfer daheim verblutet sind. Aber laufen Sie andererseits auch niemals später als am Mittag des zweiten Feiertags Amok. Nur so haben wir von der Presse noch eine Chance, gleich nach Weihnachten ausführlich über Ihre Tat zu berichten. Wir danken für Ihr Verständnis.
6. Der Selbstmord
Leider fallen nicht wenige Amokläufer nach erfolgtem Massaker in ein seelisches Tief und vergessen dann gern, daß ja zu einem ordentlichen Amoklauf auch der Selbstmord gehört. Ja, so viel Schneid sollten Sie schon aufbringen, zumal es Ihnen ja auch eine Menge Probleme mit der Polizei und der Justiz erspart. Also zögern Sie nicht zu lange und gehen Sie auch hier beherzt zur Sache. Nicht daß es Ihnen am Ende so ergeht, wie jenem Würzburger Amokläufer, der sich nach seiner bis dahin recht formidablen Tat (3 Tote, 1 Schwerverletzter) aufhängen wollte, was aber mißlang, da der Strick leider riß. Noch mit der Schlinge um dem Hals wurde er festgenommen. Wie pflegt der Amokläufer da zu sagen? Dumm gelaufen. Genau. Fritz Tietz
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