Rechte belagern Roma in Ungarn: Das Terrorregime der Miliz
Die Roma des Dorfs Gyöngyöspata werden seit Monaten von rechten Milizen bedroht. Einst haben dort alle Bewohner als Ungarn friedlich nebeneinander gelebt.
Eine idyllische Frühlingslandschaft breitet sich im nördlichen Zentralungarn aus. Von Weitem ist schon der schlanke, holzverkleidete Turm der gotischen Pfarrkirche von Gyöngyöspata zu erkennen. Aber am Ortseingang steht die Polizei und kontrolliert die Papiere.
Es soll verhindert werden, dass Mitglieder einer Wehrsportmiliz mit dem Namen Vedero (Schutzmacht) ins Dorf kommen. Die kleine Ortschaft im Komitat Heves ist über Nacht bekannt geworden durch Auseinandersetzungen zwischen der ansässigen Romabevölkerung und rechten Milizen. Jetzt herrscht Belagerungszustand.
Die Romasiedlung liegt, abgegrenzt vom Ortskern, am Ufer eines Bächleins, wo eine weitere Gruppe von Polizisten postiert ist. Die ungepflasterte Straße ist über einen fußbreiten Betonpfosten zu erreichen, der das trübe Gewässer überbrückt. Aufgeplatzte Müllsäcke säumen das Ufer. Ein kleiner Junge im Barcelona-Dress von Ronaldinho tritt einsam einen Fußball. Die meisten Erwachsenen sitzen vor ihren Häusern.
Geza Csömör steht am Eingangstor vor seinem offensichtlich baufälligen Bauernhaus. Die Bettwäsche hängt vor der Tür auf einer Leine. Der Mittsechziger mit vollem grauem Haar hat seine blaue Jogginghose mit einem alten Ledergürtel um die nackten Hüften geschnallt. Er wirkt ärmlich und heruntergekommen, wie alles hier. Terror herrsche im Dorf, sagt er. Die Frauen wagten sich nicht zum Einkaufen in die Geschäfte, die Kinder gingen nicht mehr in die Schule und machten nachts vor Angst ins Bett.
Die längste Zeit hatten ethnische Ungarn und Roma in dem 2.500-Einwohner-Dorf weitgehend friedlich nebeneinander gelebt. Letztes Jahr wurden dann drei Romafamilien durch ein Hochwasser obdachlos. Das Rote Kreuz half und erwarb im vergangenen Februar ein Haus im Ortskern. Daraufhin begannen die Nachbarn zu protestieren. Niemand will neben "Zigeunern" leben.
Sofort sprang Oszkar Juhasz, der lokale Vertreter der rechtsextremen Jobbik, auf den Zug auf und nötigte den parteilosen Bürgermeister Laszlo Tabi, die Bürgerwehr "Bessere Zukunft" ins Dorf zu rufen. Deren Truppen waren am nächsten Tag bereits zur Stelle und verbreiteten dann mit ihren martialischen Aufmärschen Angst und Schrecken. Gleichzeitig rekrutierten sie eine lokale Einheit von 26 Mann, die nach ein paar Wochen die Aufgaben übernehmen konnte.
Drei Monate Terror
Der Terror dauere jetzt schon drei Monate, erzählt Csömör. "Es begann damit, dass Uniformierte im Gleichschritt durch die Straße marschierten - um 7 Uhr früh". Die Kinder hätten zu schreien begonnen. Das war Anfang März. Ein Haus in der Hegyalja ut wurde nachts mit Steinen attackiert.
Wochenlang seien schwarz uniformierte Schlägertypen, bewaffnet mit Baseballkeulen, Messern oder sogar Schusswaffen und begleitet von grimmig knurrenden Pitbulls an der Leine immer wieder durch die Romasiedlung patrouilliert und hätten sie vom höher gelegenen Ortskern abgeriegelt. Bezahlt, so sind sich die Roma sicher, würden die Milizionäre von der örtlichen Bevölkerung. Von 47 Millionen Forint, also etwa 180.000 Euro, ist die Rede. "Sie werden bezahlt, damit sie uns töten", glaubt ein etwa zehnjähriges Mädchen im rosa T-Shirt.
Vor Ostern sei es unerträglich geworden. Der Wehrsportverein Vedero kündigte ein paramilitärisches Lager ausgerechnet in Gyöngyöspata an. Uniformierte - die Roma sprechen von Soldaten - seien in bedrohlicher Weise aufmarschiert. Daraufhin habe man das Rote Kreuz um Hilfe gebeten. Der seit Jahren in Ungarn lebende US-Amerikaner Richard Field, dessen American House Foundation eng mit dem Roten Kreuz in Sachen Armutsbekämpfung zusammenarbeitet, habe die Evakuierung finanziell unterstützt.
Fast 300 Frauen, Kinder und alte Leute seien dann am Karfreitag in zwei Freizeitzentren gebracht worden. Im Regierungsfernsehen wurde Fields Intervention wenig später als Einmischung "russischer Geheimdienstkräfte" dargestellt, die die Roma missbrauchten, um osteuropäische Länder zu destabilisieren. Die Flucht der Frauen und Kinder ist für die Regierung aber ein "Osterurlaub" - gesponsert vom Roten Kreuz.
Erst während der Evakuierung waren vier Hundertschaften Polizisten eingetroffen. "Die Polizei ist nie da, um uns zu schützen", klagt Geza Csömör. So ähnlich sieht es auch Attila Hartyani, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Gegen die Kleinkriminalität im Ort sei die Polizei nie eingeschritten. Hartyani ist der Chef der Zivilgarde für eine bessere Zukunft (Szebb Jövöert Polgarör Egyesület), die jetzt für Ordnung sorgen will.
Es sei unrichtig, dass diese eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Magyar Garda sei: "Mit der rechtsextremen Partei Jobbik haben wir nichts zu tun." Die Bürgerwehr sei vielmehr in Reaktion auf die ausufernde Kriminalität entstanden. Anfangs vermeidet Hartyani das Wort "Zigeuner". Hauseinbrüche, Überfälle auf offener Straße, Obst- und Holzdiebstahl hätten sich gehäuft. "Aber bei einem Schaden von unter 20.000 Forint (ca. 75 Euro) kommt die Polizei gar nicht."
"Die Grenzen von 1941"
Hartyani empfängt in seiner Garage. Ein übergewichtiger junger Mann, der den Weg weist, manifestiert mit seinem T-Shirt, wo er politisch steht. Ungarn ist darauf in den Grenzen vor dem Friedensvertrag von Trianon 1920 eingezeichnet: dreimal so groß wie heute, umfasst es die gesamte Slowakei, das Burgenland, Siebenbürgen und Teile von Serbien. Hitler hatte diese Gebiete den verbündeten ungarischen Faschisten wieder zugesprochen. "Die Grenzen von 1941 sind das Mindeste, was wir fordern", steht über der Landkarte.
"Seit wir patrouillieren, hat die Kriminalität um 90 Prozent abgenommen", verkündet der Bürgerwehrführer stolz. Gerüchte, dass seine Truppe mit hohen Summen von der einheimischen Bevölkerung finanziert werde, weist er zurück. Ein Radio, Walkie-Talkies und ein Nachtsichtgerät habe man bekommen. Bezahlt werde man nicht, behauptet er, während in seinem Garten ein Grillfest mit Fascho-Liedern beginnt. Er selbst sei arbeitslos.
Dann kommt der stämmige Dreißigjährige doch noch auf "die Zigeuner" zu sprechen. Die hätten den jüngsten Aufruhr nur inszeniert, um Aufmerksamkeit und Geld zu bekommen. "Denn arbeiten wollen die nicht." Mit der Wehrsportgruppe, die die Zusammenstöße ausgelöst hat, habe man nichts zu tun. Zufällig befinde sich aber deren Chef Tamas Eszes im Hause. Anders als der eher gemütlich aussehende Hartyani ist der Vedero-Chef ein Militär, der jede Klischeevorstellung bestätigt: kantiges Gesicht, durchtrainierter Körper, Militärstiefel.
Wenn er spricht, klingt das wie eine Befehlsausgabe. Über seine Vergangenheit bei der Fremdenlegion in Nahost verrät er keine Details. Für Medien und Politiker empfindet er tiefe Verachtung. Wie ein lateinamerikanischer Putschgeneral erklärt er die Politiker allesamt für korrupt: "Die sind nur hinter dem Geld her. Volk und Vaterland interessieren sie nicht." Die Regierung solle abtreten und einem Technokratenkabinett Platz machen, wünscht er sich.
Seine Wehrsportgruppe habe nur das Ziel, die Jugend militärisch zu ertüchtigen. In Ungarn ist die Wehrpflicht abgeschafft. Die Berufsarmee sei nur für wenige attraktiv, sagt Eszes, doch das militärische Leben wollten viele kennenlernen: "Deswegen veranstalten wir dreitägige Trainingscamps. Mit den Roma im Dorf habe das nichts zu tun. Im Gegenteil: Jeder sei willkommen mitzumachen. Nach Gyöngyöspata sei man gekommen, weil man hier 3.000 Quadratmeter Grund erwerben konnte. Zum symbolischen Preis von einem Forint, wie sich später herausstellt, und zufällig auf einem Hügel direkt über der Romasiedlung.
Spende unterschlagen?
Zwei ältere Frauen auf der Straße sind froh, dass die Zigeuner jetzt unter Kontrolle sind: "Sie stehlen Obst und Blumen. Es ist eine Schande, dass Expremier Ferenc Gyurcsany und die LMP diese Leute unterstützen." Die linksgrüne Partei LMP zeigt Präsenz im Ort, um die Roma politisch zu stärken.
Der Sozialdemokrat Gyurcsany hat eine Million Forint für die Roma von Gyöngyöspata gespendet. "Davon haben wir noch nichts gesehen", sagt Anita Csömör, die ihr Rad durch die Romasiedlung schiebt. Sie glaubt, dass Janos Farkas, der Romavertreter im Gemeinderat, das Geld unterschlagen hat. "Er hat es im Kasino verspielt", glaubt Attila Hartyani zu wissen. "Unsinn", sagt Farkas, der im besten Haus der Straße wohnt, "das Geld ist in guter Obhut." Es werde vielleicht demnächst für die kollektive Flucht gebraucht.
Derzeit patrouilliert die Polizei noch durch das Dorf. Berittene Polizisten mit Säbel am Gürtel verhindern, dass Roma und Gardisten aufeinanderprallen. Aber wenn sie abziehen, fürchten die Leute in der Hegyalja-Straße, dann komme die Nacht der langen Messer. Bürgermeister Laszlo Tabi ist inzwischen zurückgetreten. Im Juni muss sein Nachfolger gewählt werden. Oszkar Juhasz von der rechtsextremen Jobbik, der bei den Wahlen im vergangenen Herbst keine 10 Prozent bekam, rechnet sich jetzt beste Chancen aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“