Rebellen im Kongo: Die Kampfmoral ist zerstört
Aus dem Radio erfuhren die ruandischen Hutu-Kämpfer im Kongo, dass ihre Führungsspitze verhaftet worden ist. Jetzt ergeben sie sich zu Hunderten.
KIGALI/MUTOBO/GISENYI taz | Unterleutnant Samuelle Twahirwa schlägt die Hacken zusammen. Der 32-jährige Ruander hat 15 Jahre lang in der Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Ostkongo gedient - bis vor wenigen Tagen, als er Blauhelmsoldaten seine Kalaschnikow aushändigte und sich ergab. "Nach der Verhaftung unseres Anführers in Deutschland ist die Moral in unserer Truppe zerstört", begründet Twahirwa seinen Abschied.
Der kräftige Mann in frischem Polohemd und Jeans steht nun mit weiteren vier FDLR-Kämpfern im Schatten eines Mangobaumes am Ufer des Kivu-Sees, auf der ruandischen Seite, einige hundert Meter entfernt vom Grenzübergang zur Demokratischen Republik Kongo. Ihre Frauen und Kinder sitzen erschöpft im Gras. Das Entwaffnungs- und Repatriierungsprogramm der UN-Mission im Kongo (Monuc) hat sie im Dschungel aufgelesen und mit einem Bus über die Grenze gebracht. Nun werden sie von Mitarbeitern der ruandischen Demobilisierungs- und Reintegrationskommission empfangen und in das nahe gelegene Demobilisierungscamp Mutobo überstellt.
In Mutobo sind derzeit alle Betten belegt. Noch nie seit Februar, als eine gemeinsame Operation der ruandischen und kongolesischen Armeen gegen die Hutu-Miliz lief, haben sich so viele FDLR-Kämpfer ergeben wie heute: allein im November und der ersten Dezemberhälfte nach UN-Angaben rund 240, gegenüber 1.285 in den ersten zehn Monaten 2009, von zuvor insgesamt rund 6.000. Ein Hauptgrund ist die Verhaftung des FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka und seines Stellvertreters Straton Musoni am 17. November in Deutschland. Die beiden Ruander werden laut Generalbundesanwaltschaft "dringend verdächtigt, sich als Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung FDLR wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen strafbar gemacht zu haben".
Diese Nachricht hatte sich in den kongolesischen Wäldern in Windeseile verbreitet. "Wir haben es im Radio gehört", erinnert sich Christian Tuzayihorana. Der 18-Jährige hockt verschüchtert auf einer Holzbank in einer Wellblechhalle von Mutobo. Über zwei Jahre diente er in der FDLR-Brigade Concorde im Distrikt Walikale in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu. Dann kam der 17. November. "Unser Kommandeur befahl uns an jenem Morgen zu sich. Wir saßen entmutigt im Kreis zusammen, lauschten BBC. Der Kommandeur trichterte uns ein, dass wir nicht aufgeben sollen. Der Krieg werde weitergehen." Der junge Mann seufzt und kaut nervös an seinen Fingernägeln. Dann zuckt er mit den Schultern. "Die FDLR ist nichts ohne unseren Führer in Deutschland", sagt er und gibt schließlich zu: Noch am selben Abend habe er heimlich mit seinen drei besten Freunden beschlossen davonzulaufen.
FDLR: Die ruandische Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" ist die Nachfolgeorganisation jener Armee und Milizen in Ruanda, die 1994 den Genozid an über 800.000 Tutsi verübt haben. Sie sind bis heute in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo stationiert, seit diesem Jahr allerdings Ziel von Militärschlägen der kongolesischen Armee.
Verhaftungen in Deutschland: Am 17. November verhaftete die deutsche Polizei den in Mannheim lebenden FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka sowie seinen Stellvertreter Straton Musoni. Gegen sie ermittelt die Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Befehlshaber einer terroristischen Vereinigung.
Murwanashyakas Verhaftung sei der Anfang vom Ende der FDLR, prophezeit ein hochrangiger Exkommandeur. "Wenn sich weiter täglich so viele Kämpfer ergeben, sind wir bald erledigt." Der alte Mann war schon in Ruanda, als Murwanashyaka dingfest gemacht wurde. Er zeigt in Richtung Kongo. "An diesem Tag riefen mich verschiedene FDLR-Kommandeure von drüben an", erzählt er und zückt sein Handy: Die Anrufliste vom 17. November enthält mehr als ein Dutzend Nummern mit kongolesischer Vorwahl. "Sie waren schockiert und verzweifelt", berichtet er. Sie alle hätten geklagt, dass die Kampfmoral dahin sei. Einige Kommandanten hätten sich sogar erkundigt, wie sie sich samt ihrem Bataillon ergeben könnten. "Sie sind entmutigt, denn ohne unsere politische Führung in Europa sehen sie keinen Sinn mehr weiterzukämpfen."
Gemäß FDLR-Organisationsstruktur übernimmt der zweite Vizepräsident, Gaston Iyamuremye, die Führung, wenn Präsident Murwanashyaka und Stellvertreter Musoni nicht agieren können. Gaston Iyamuremye alias Rumuli hält den Rang eines Brigadier-Generals in der FDLR. Gleichzeitig war er bislang als zweiter Stellvertreter Murwanashyakas direkter Ansprechpartner im FDLR-Hauptquartier in Masisi in Nord-Kivu.
Kann Iyamuremye den charismatischen Murwanashyaka ersetzen? Paul Rwarakabije glaubt das nicht. Der Major-General war einst der oberste Militärführer der FDLR. Im Jahr 2003 ergab er sich und kehrte nach Ruanda zurück. Heute arbeitet er als Berater in der ruandischen Demobilisierungs- und Reintegrationskommission. Rwarakabije kennt Iyamuremye bereits aus der gemeinsamen Schulzeit.
Später leiteten die beiden gemeinsam das FDLR-Hauptquartier in Masisi. Iyamuremye habe kein gutes Verhältnis zum derzeitigen FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura, sagt Rwarakabije. "Als ich damals die FDLR verließ, hatten sie eine Auseinandersetzung, denn beide wollten meine Nachfolge als Militärkommandeur antreten." Schließlich zog Murwanashyaka seinen engen Freund Mudacumura vor. "Seitdem ist das Verhältnis zwischen den beiden sehr angespannt." Rwarakabije kann sich nicht vorstellen, dass Mudacumura direkte Befehle von Iyamuremye entgegennehmen würde.
Miliz in der Führungskrise
In ruandischen Geheimdienstkreisen wird derzeit gemunkelt, Mudacumura sei im Gefecht verwundet worden. Die regierungsnahe Zeitung New Times behauptete sogar, die UN-Mission Monuc habe Ärzte in den Dschungel geflogen, um den FDLR-Militärchef zu behandeln. Die FDLR bezeichnet auf ihrer Website die Gerüchte als "pure Fantasie und Propaganda". Beobachter vermuten einen Versuch des ruandischen Geheimdienstes, Mudacumura in eine Falle zu locken oder seine Autorität zu untergraben.
Laut Statut ist es jedenfalls Iyamuremyes Aufgabe als Interimspräsident, die Wahlmänner des Direktorenkomitees einzuberufen, um eine neue politische Führung für FDLR zu wählen, erklärt ein UN-Angestellter. Aus seinen jüngsten Interviews mit Exkämpfern schließt er: "Die FDLR-Führung versucht ihren Kämpfern derzeit einzureden, dass Murwanashyaka bald wieder freigelassen wird."
Deswegen schickt die Monuc nun verstärkt Radionachrichten in den Dschungel: "Wir erklären klipp und klar, dass ihr Chef in Deutschland wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet wurde und ihm bald der Prozess gemacht wird", sagt der UN-Ermittler. Er hofft, dass diese Nachricht auch zu den einfachen Kämpfern durchsickert. "Woche für Woche werden sie mehr Hoffnung verlieren, dass er tatsächlich irgendwann freikommt."
Dass dem FDLR-Chef der Prozess gemacht wird, liegt in der Verantwortung der Deutschen. Derzeit befinden sich Murwanashyaka und Musoni in Untersuchungshaft. Mindestens drei, maximal sechs Monate haben Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt Zeit bis zur ersten Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof.
Um Murwanashyaka und Musoni den Prozess zu machen, benötigen die deutschen Ermittler hieb- und stichfeste Beweise: Zeugen, die deren Rolle als Kommandoverantwortliche innerhalb der FDLR bestätigen; Opfer der Verbrechen, die vor einem deutschen Gericht aussagen.
Anfragen zum Stand der Ermittlungen beantwortet die Bundesanwaltschaft derzeit nicht. Aber wenige Tage nach den Verhaftungen reisten deutsche Ermittler nach Ruanda. In mehrstündigen Befragungen vernahmen sie unter anderem ehemalige hochrangige FDLR-Kommandeure und Experten der UN.
Martin Ngoga zeigt sich darüber erleichtert. Eben kommt Ruandas geschäftiger Generalstaatsanwalt aus Malawi zurück. Ngoga sucht auch 15 Jahre nach dem Genozid 1994 in Ruanda nach flüchtigen Planern und Haupttätern des Völkermordes. Erschöpft hastet Ngoga die Treppen ins oberste Stockwerk der Generalstaatsanwaltschaft hinauf. In seinem Büro wirft er Krawatte und Jackett über den Haken und setzt sich lächelnd an einen Konferenztisch. "Für uns waren die Verhaftungen in Deutschland ein sehr wichtiger Schritt", sagt er. Bereits im Juli 2008 hatte Ngoga einen Haftbefehl gegen Murwanashyaka an die deutschen Behörden geschickt. Doch die reagierten langsam: "Ich weiß, dass rechtliche Schritte ihre Zeit benötigen, doch nun hoffen wir, dass der Fall endlich Fortschritte macht und mit der Ernsthaftigkeit und Priorität angegangen wird, die er verdient", sagt er. Ngogas größte Sorge ist, dass der Prozess gegen Murwanashyaka in Deutschland scheitert. "Das wäre sogar schlimmer als zuvor."
Nächste Verhaftung Paris?
Diese Bedenken sind begründet: Ngoga erinnert an den November 2008, als in Deutschland zwei ruandische Genozidverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen wurden - darunter Callixte Mbarushimana, der in Paris ansässige Exekutivsekretär und Propagandachef der FDLR. Gegen ihn hatte Ngoga bereits 2004 einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Darin wird ihm vorgeworfen, 1994 aktiv am ruandischen Völkermord mitgewirkt und später die Vorgängerorganisation der FDLR gegründet zu haben. Ihn in Frankreich zu verhaften, wäre laut Ngoga der nächste Schritt, um die FDLR-Führung in Europa endgültig zu zerschlagen.
Ngoga äußert die Hoffnung, dass die französischen Behörden im Fall Mbarushimana bald tätig werden. Ruanda und Frankreich haben nach jahrelangem Disput jüngst wieder ihre diplomatischen Beziehungen aufgenommen. Nach der Verhaftung Murwanashyakas in Deutschland empfing Ngoga zum ersten Mal französische Ermittler in Kigali. "Dies war nur Basisrecherche, aber sie haben versprochen, bald wiederzukommen", sagt er.
Der Generalstaatsanwalt erwartet, dass auch die deutschen Ermittler 2010 wieder nach Ruanda kommen. Schließlich steigt die Zahl der potenziellen Zeugen stetig. Täglich ergeben sich müde Krieger und beginnen ein neues Leben in ihrer ruandischen Heimat.
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