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Reaktionen aufs Hartz-IV-UrteilAlle tun schön zufrieden

Fast alle geben sich zufrieden mit dem Urteil des Verfassungsgerichts. Bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Bezüge aber könnte es knallen: Aus FDP und CSU kommen Forderungen, die Leistungen zu senken.

Besser nicht widersprechen: Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier beim Urteilen über Hartz IV. Bild: dpa

BERLIN dpa/apn/afp/reuters/taz | Eigentlich müssten alle Politiker genervt sein angesichts der Regelmäßigkeit, mit der inzwischen vom Bundesverfassungsgericht Gesetze beanstandet werden. Andererseits will sich aber auch niemand etwas anmerken lassen – Karlsruhe ist zu folgen, also schlägt man sich besser auf die Seite der Gewinner.

Und so gehörte Sozialministerin Ursula von der Leyen, technisch gesehen Beklagte in diesem Fall vor dem Bundesverfassungsgericht, zu den ersten, die betonten, wie sehr sie das Urteil begrüße. "Besonders freut mich, dass das Kind in seiner Gesamtheit in den Blick genommen wurde, mit all seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten", sagte sie. Gerade der in der bisherigen Regelung vernachlässigte Bereich von Bildung und Bedarf in der Schule müsse jetzt in den Vordergrund rücken.

Auch die SPD wollte mit dem Urteil nicht gemeint sein. Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Anette Kramme, bezeichnete das Karlsruher Urteil als "Warnsignal für Schwarz-Gelb". Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe seien das "unterste soziale Netz". Sie eigneten sich nicht für Sozialkürzungen.

"Alle eventuellen Überlegungen, nach der NRW-Wahl bisherige Steuergeschenke derart zu finanzieren, müssen nun in der Schublade bleiben", ergänzte die SPD-Sozialpolitikerin. Nur: Hier ging es um ein Gesetz der rot-grünen Regierung, weitergeführt von einer großen Koalition.

Ehrlich freuen konnte sich dagegen die Linkspartei: Es sei "eine dramatische Ohrfeige, die da ausgeteilt wurde", erklärte der designierte Parteichef Klaus Ernst gegenüber n-tv. Das Urteil zeige auch, dass der Sozialstaat nicht der "Spielball" der Regierung sei. Sie müsse nunmehr ein Gesetz einbringen, dass eine ordnungsgemäße Festsetzung der Hartz-IV-Sätze gewähre. "Hartz IV gehört auf den Müllhaufen der Geschichte", fügte Ernst hinzu.

Auch Gregor Gysi frohlockte: "Das Bundesverfassungsgericht hat über SPD und Grüne, aber auch über Union und FDP ein vernichtendes Urteil gefällt", erklärt der Fraktionschef der Linken. "Die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder bei Hartz IV sind verfassungswidrig und nicht existenzsichernd. Damit ist der wesentliche Inhalt von Hartz IV für verfassungswidrig erklärt worden." Die Regelsätze müssten nun steigen. "Das geht richtig ins Geld."

Ähnlich erleichtert bis euphorisch sind die Einschätzungen von DGB, Sozialverbänden und Kirche. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, sprach etwa von einer "Weichenstellung für Kinder und Familien" in Deutschland. Der Sozialverband VdK ergänzte, dass "Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht länger in ihren Teilhabechancen gegenüber anderen Kindern benachteiligt werden" dürften. Die Verbände sehen sich endlich in der Offensive: "Die Regelsätze müssen um mindestens 20 Prozent angehoben werden", verlangt nun etwa der Paritätischer Wohlfahrtsverband.

Doch es gibt auch Gruppen, die erheblich weniger begeistert sind, vor allem die wirtschaftsnahen Kreise. Zwar nennt auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger das Urteil eine "schallende Ohrfeige für Rot-Grün", und erklärt das Urteil habe ansonsten "überschaubaren Folgen". Doch das sehen nicht alle Freidemokraten so.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Lindner geht sogar so weit, eine Kürzung der Regelsätze zu verlangen. "Eine Neujustierung der Bundesregierung sollte ohne Kürzungen der Regelsätze nicht vonstatten gehen", verlangte Lindner in der Rheinischen Post. Gleichzeitig sollten die Hinzuverdienstgrenzen deutlich erhöht werden, um mehr Anreize zu schaffen, eine Arbeit aufzunehmen. "Das Lohnabstandsgebot wird faktisch unterlaufen", so Lindner.

Auch der CSU-Mittelstand warnt vor der Ausweitung von Sozialleistungen. Aus dem Urteil sei keineswegs die Forderung nach beträchtlich höheren Sätzen abzuleiten, erklärte der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach. Wer dies dennoch mache, "missbraucht das Urteil für seine Zwecke".

Schützenhilfe gibt das Institut für Weltwirtschaft (IfW). Falls sich die Regelsätze erhöhten, werde der Abstand zwischen Lohneinkommen und Arbeitslosengeld II verringert, sagte IfW-Forscher Alfred Boss. "Für ALG II- Bezieher wird es dadurch weniger attraktiv, eine reguläre Beschäftigung aufzunehmen." Es lohne sich für viele gering qualifizierte ALG II-Bezieher mit Kindern bereits heute kaum, im Niedriglohnsektor zu arbeiten.

Ganz anders die Grünen-Fraktion. Sie hat sich von ihren damaligen Beschlüssen in der rot-grünen Koalitionen weit entfernt und beschloss umgehend einen Antrag für den Bundestag, als Sofortmaßnahme den Regelsatz von 359 auf 420 Euro im Monat anzuheben: "Es ist geboten, sofort zu handeln und nicht weiterhin in Kauf zu nehmen, dass Millionen von Menschen in Deutschland unterhalb des Existenzminimums leben müssen."

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17 Kommentare

 / 
  • ED
    every day i have the blues

    Ich bin schon sehr viel von Politik gewohnt.Ich war

    2005 regelrecht gezwungen mich als Nichtwähler zu

    positionieren um die unsägliche Schröder/Fischer

    Regierung abwählen zu helfen.

     

    Aber dass nun Politiker aus dem Urteil des Bundes

    verfassungsgerichtes ableiten,evtl.Kürzungen beim

    Regelsatz für Arbeitslosengeld II bezieher vor-

    nehmen zu können,schlägt doch dem Fass den Boden

    aus!-Wow! Das ist heftig!Die werden das Ende des

    Jahres so interpretieren,dass weniger mehr zur

    menschlichen Würde beiträgt und Kürzungen ganz

    und gar gerechtfertigt seien im Sinne des Bundes-

    verfassungsgerichtsurteiles(!!!)

  • JK
    Juergen K

    Hartz4 ist unabhängig von allen anderen Gegebenheiten

    (vom Lohnabstandgebot, von den Bakensubventionen)

    selbst vom Wetter verfassungswidrig.

     

    Deshalb,

    weil die Würde des Menschen verletzt wird.

     

    Deshalb, weil der Gesetzgeber willkürlich Leistungen und Beträge festgesetzt hat.

     

    Deshalb, weil innerhalb des Teilbetragsystem unsinnigkeit vorliegt,

     

    UND INSBESONDERE weil beim Grundregelsatz für Alleinstehende -der Maßgabe für alle anderen Regelsätze (Kinder etc.)-

     

    bereits Abschläge gemacht wurden, die unzulässig sind (z.B. Abzug wegen Segelyachten und Nerzen);

     

    dieser Grundregelsatz also zu gering ist.

     

    Somit die abgeleiteten Regelsatze meistens zu gering, wenn sie nicht unsinniger Weise zu hoch sind).

     

    Und zwar so eklatant zu gering, dass das gericht im letzten Abschnitt seines Urteils VERORDNET, mit SOFORTIGER WIRKUNG Anträge auf Sonderbedarf zu bewilligen,

     

    wie sie nur vorher in der Sozialhilfe möglich waren.

     

    SO EKLATANT verfassungswidrig niedrig, dass jeder jetzt Waschmaschine, Wohnungsausstattung, Haushalts- und Elektrogeräte, Kleidergeld, Brillen , Zahnersatz, Sozialticket, Strom, etc. beantragen kann.

     

    Die Jobcenter MUESSEN BEWILLIGEN!

    (wenn der Bedarf tatsächlich vorliegt)

     

    Über den Regelsatz hinaus!

     

    Mit sofortiger Wirkung!

    Seit gestern 10 00 Uhr.

     

    Und alle lassen sich von den Medien über sinkende Regelsätze einlullen, während ihnen diese Antragstellung geflissentlich nicht mitgeteilt wird.

  • B
    bagelcat

    Mal eine Frage an die Wirtschaftsvertreter und die sie vertretenden Politiker, nein - zwei:

     

    - Was ist wichtiger: Das Lohnabstandsgebot oder die Grundgesetzliche Regelung die festlegt, dass Deutschland ein Sozialstaat ist und das Existenzminimum gewährleistet sein muss?

     

    - Oder andersrum: Wenn es schon ein Lohnabstandsgebot gibt, warum müssen Löhne aus einer Vollzeitarbeit nicht auch einen gewissen Abstand zum Existenzminium einhalten (damit man das nicht falsch versteht: nach oben!)

     

    Fragen, die niemand aus dem Kreis der Angesprochenen wirklich beantworten will nach meinem Eindruck.

     

    Wir brauchen einen Niedriglohnsektor. Aber Arbeit nur um der Arbeit willen und mit Subvention durch den Staat - das darf nicht erzwungen werden.

     

    Ich hab ja nichts dagegen, wenn jemand zwangsweise einen sinnvollen sozialen Dienst, der sonst nicht geleistet würde, ausüben muss um HartzIV zu bekommen. Aber ich kann nicht verstehen, wieso jemand zwangsweise bei Schlecker arbeiten muss um HartzIV zu bekommen. Das ist für mich reine Subventionspolitik. Diese HartzIV Zahlungen gehen defakto direkt in den Gewinn dieser Firmen.

     

    Ich weis, das gilt sicher nicht für alle Firmen und bestimmt gibt es auch Beispiele bei denen der Betrieb schliessen müsste, wenn normale Löhne gezahlt würden. Aber mal ehrlich - das sollte die Regel sein in einer Marktwirtschaft. Wer nicht konkurrenzfähig ist und seine Kosten erwirtschaften kann, darf der dann durch die Hintertür durch den Staat erhalten werden (durch die Ermöglichung von Niedriglöhnen und "erzwungener" Arbeitsleistung)? Wo bitteschön ist das denn Marktwirtschaft?

  • HH
    Host Hamburg

    Tja, was Zensursula hier performt, ist das perfide, aber klassiche PR Manövers des "Hug of Death":

     

    Heutige Headline in der Welt Kompakt:

    "Hart IV wird umgebaut.

    ... - Von der Leyen: Sieg für die Kinder."

     

    Ach diese niedlichen kleinen Kinder!

    Und dieses Ursula setzt sich da sooo lieb für ein...

    Die war schon bei 'Wetten das' so fesch...

     

    Fragen? Oh ja:

     

    1.) WER war nochmal die letzten 4 Jahre für Famlien politisch zuständig ?

    2.) WELCHE Partei war nochmal die führende Regierungspartei ?

    Gab es vorher etwa ein richterliches Verbot, die Kindersätze anzuheben?

    3.) WER wollte noch vor drei Wochen ausgesprochen hartnäckig jene 20 versehentlich gezahlte Euro für Hartz IV Kinder zurückfordern? (obwohl der Großteil des Ertrags dieser Rückforderung für den Aufwand derselben bereits wieder draufginge...)

    4.) Kann mich mal jemand beissen?

     

    Falls ich irgendwann mal Innenminister eines Bundeslandes werde, und so ein olles BVG pfeift mein schönes neues Polizeigesetz zurück, werde ich auch von einem "Sieg für die Bürgerrechte" sprechen und mich "für die Bürger freuen". Ganz schnell, bevor jemand merkt das meine bisherige Haltung für menschenunwürdig erklärt wurde.

     

    Besser kann man PR nicht manipulieren.

  • T
    Thorsten

    Ich finde es immer wieder intersant zu lesen das ALG2 Empfänger zu wenig haben. Das mag natürlich auch sein, jedoch scheint es in Deutschland niemanden zu interessieren, dass man als Student, der nicht mehr Zuhause wohnt, gut 150€ weniger, als ein vergleichbarer ALG2 Empfänger, hat.

  • TN
    three-percent Nation

    Hallo!

    Die Grünen haben dieses Gesetz abgenickt!

  • E
    Eser

    Hahaha, unglaublich... CDU und SPD haben Hartz IV gemeinsam beschlossen im Vermittlungsausschuss und jetzt tun beide so, als hätte keiner von denen je was zu tun gehabt mit der Unmenschlichkeit dieses Gesetzes.

  • JK
    Juergen K

    Die einzig denkbare Lösung ist die vollautomatische Automatische Bewilligung von Hartz4 für alle Menschen, die gleich oder weniger als die Beitragsbemessungsgrenze verdienen.

     

    Und bei denen eine Einkommensanrechnung ähnlich wie bei der Steuer progressiv oder linear ab oberhalb des "Existenzminimums" greift.

  • F
    fidel

    es ist doch nur noch ekelerregend, die gelbliberalen

    wollen ihre sklavenhalter weiter unterstützen und die

    grünliberalen wollen wieder an die macht. die letzteren haben wissentlich mitgeholfen großen teilen der arbeitenden bevölkerung würde und stolz zu nehmen. jetzt auf einmal wollen sie das mit geld wieder gut- machen. aber wie schon gesagt, ihr habt sie nicht nur in armut gestürzt, ihr habt ihnen auch würde und stolz genommen. und das werden sie euch nicht vergessen.

  • J
    jimmygjan

    Jetzt will es keine gewesen sein!

     

    Da stellt sich doch die Frage, wieso erst das Bundesverfassungsgericht bemüht werden mußte, um diese Feststellung der Verfassungswidrigkeit zu treffen.

     

    Erbärmlich, durchschaubau und berechnend, wie die verurschenden Politiker und Parteien sich nunmehr verhalten.

  • M
    Mistral

    Das Lohnabstandsgebot könnte leicht eingehalten werden, indem man einen gesetzlichen Mindestlöhne einführt - den es bekanntlich in der Mehrzahl der Staaten der EU gibt.

     

    Aber der Streit um Hartz IV wirft noch eine andere Frage auf - nämlich: "Kann man durch eine Ausweitung des Niedriglohnsektors Wachstum & Beschäftigung schaffen?". Das ist einer der Grundgedanken hinter der Agenda 2010.

     

    Diesen "Feldversuch" kann man nun endgültig (im Wesentlichen) als gescheitert erklären.

  • W
    WeedWeed

    So und jetzt bitte "zeitarbeit bzw von unbequeme

    arbeit muss man seine rechnungen bezahlen koennen"

    und nicht "die faule alleinerziehende", danke!

     

    Ps: Die zeitarbeitsregelungen sind

    menschenunwuerdig, wieso laeuft da niemand sturm?

     

    z.b.: die asoziale firma namens "schlecker" kaufen

    sich menschen bei z.b. adeccdo um sie zu versklaven,

    sogar der wos pensum hochtreibt wird um stunden

    beschissen, und

    zum ende des tages "morgen etwas schneller dass war

    heut nix"

     

    ich seh auch komischerweise kaum artikel ueber

    zeitarbeitsfirmen.

  • Z
    zzplop

    ...das Urteil kommt 5 Jahre zu spät!

  • M
    Martin

    Deutlicher geht es nicht, wenn FDP und CDU-Kreise mit dem 'Lohnabstandsgebot' für noch niedrigere Leistungen plädieren. Euer 'Lohnabstandsgebot' erreicht ihr doch problemlos, wenn ihr die Hungerlöhne verbietet und endlich einen gesetzlichen Mindestlohn beschließt. Die Menschenwürde wird mit Füßen getreten, wenn Billiglöhne gezahlt werden, von denen man nicht leben kann. Ausgangspunkt des Verfassungsgerichts war die Menschenwürde. Es ist eine Schande, dass gerade eine Partei wie die FDP keinen Respekt vor der Verfassung hat.

  • H
    Hus

    Wie können diese Parteien mit diesem Urteil zufrieden sein? Ich glaube ich habe was nicht verstanden.

    Die waren doch alle - bis auf die Linke/PDS - für dieses Gesetz?

  • M
    Majo

    "Der FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Lindner geht sogar so weit, eine Kürzung der Regelsätze zu verlangen..." und gehört somit als Erster ans Kreuz genagelt, wenn es darum geht aus Rechtsprechung - Unrecht zu machen!

  • A
    Andreas

    Die SPD redet hier in einer Art und Weise - dazu fällt mir wirklich gar nichts ein. Wenn eine Partei genau diese Gesetze gewollt hat, dann waren es die Sozialdemokrten und entsprechend liest sich auch das Urteil: Schlechtes, illegales Gesetz.

     

    Inzwischen müssen 8,1 Millionen Menschen unter Hartz leiden ... Tendenz steigend. Wieviele Kinder in Armut aufwachsen stellt einen neuen Rekord für Deutschland dar. Wahrscheinlich wollen unsere ELiten es auch hier mit China aufnehmen.