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Archiv-Artikel

■ Reaktionen auf die Anti-Bohlen-Briefe Spießige LeserInnen?

betr.: „Da darf doch die taz ruhig fehlen“, taz vom 25. 1. 03

„taz mutiert zu Bild“ wegen Bohlen-Interview – diesen Eindruck bemühten die wackeren Gutmenschen und drohten mit Kündigung. Selbst schon mal eine Bild in der Hand gehabt? Eher nein, ist zu vermuten, angesichts eines Horizonts bis knapp unter den eigenen Tellerrand.

Man kann ja von DB halten, was man will – unstreitig bewegt er einiges im Musik-Business, teils mehr, als viele wissen. Insofern fand ich das Interview interessant und aufschlussreich. Merke: man muss nicht alle lieben, die große Räder drehen. Aber es schadet nicht, darüber zu wissen. ANDREAS HERTSCH, Wehrheim

Das taz-Interview zeigt, dass Dieter Bohlen als kühl kalkulierender, souverän mit kulturellen Chiffren spielender Musikproduzent gerade nicht der doofe Proll ist, für den ihn viele halten (wollen). Der sich selbst viel nüchterner einschätzt, als ihn die Boulevardpresse darstellt („Bester Produzent Deutschlands?“ – „Nein, erfolgreichster, nicht bester!“). Der damit einen ungewohnt realistischen Einblick in die Mechanismen, Kriterien und Mentalitäten der populären Musikkultur bietet – im taz-Interview!

Zu diesem journalistischen Coup keine Gratulationen, sondern ein dumpfes: „Macht weiter so, und die taz kommt uns nicht mehr ins Haus!“. Wir wollen in der taz etwas anderes als die Bestätigung unserer in jungen Jahren geprägten Konventionen nicht lesen! „Es reicht!“

Wenn die Boulevardpresse sich vom intelligenten Journalismus dadurch unterscheidet, dass sie traditionelle Klischees bedient und blinde Empörung dadurch erregt, dass sie ebendiese Klischees verletzt, dann hat die taz tatsächlich eine große Gemeinsamkeit mit der Boulevardpresse: aber nicht im journalistischen Angebot, sondern in der spießigen Leserschaft.

JÜRGEN MEIER-BEER, Hamburg

Hätte Dieter Bohlen doch seine Ankündigung wahr gemacht, die er 1998 vor der Bundestagswahl öffentlich verbreitet hat: „Wenn Rot-Grün an die Regierung kommt, dann wandere ich aus!“ Es wäre aber auch wirklich zu schön gewesen …

STEPHANIE GÜNTHER, Freiburg

Liebe Leute, keine Bohlen-Interviews? Keine Plattform für unbotmäßige Nichtlinke? Und schon gar nicht neben Gretchen Dutschke? Niemand zwingt euch, die tageszeitung eurer Wahl durchzulesen, aber der Anspruch umfassender, kreativer, objektiver Berichterstattung zwingt die taz, alle Sparten gesellschaftlicher Realität abzudecken. Bohlen mag ein Trottel sein, aber er ist ein wichtiger Trottel, der Dinge sagt, die Menschen bewegen und Dinge bewegt, die die Maschinerie schmieren. Eure Kritik wäre ein Verbotsantrag auf viele interessante ZeitgenossInnen. Kein Duisenberg mehr in der taz, kein Schily, kein Westerwelle, kein Profi, kein Star, mit einem Wort: keine Menschenseele von Belang. Nur politisch hochkorrekte Veganismusfunktionäre linker Basisbewegungen mit sozialer Kompetenz und gutem Geschmack.

Es gibt eben doch ein richtiges Leben im Falschen, und das falsche Leben darin lernen wir nur kennen, wenn wir es aus seinem goldenen Käfig in unsere Wahrnehmung holen. Also bitte, liebe taz: Weiter so, führt Interviews mit Arschkeksen und Despoten; wenn es mich nicht interessiert, lese ich drüber hinweg.

JAN FREITAG, Hamburg

Ein Hoch auf die LeserInnen, die noch die taz an ihren Auftrag erinnern, sie nicht mit Dumpfinformationen à la Bohlen und Schlagerballaballa zu belästigen. Vielleicht wäre es an der Zeit, um die LeserInnenbindungen zu erhalten, ein Artikelranking einzuführen. […] Wenn ich bedenke, wie wenig Platz die taz manchen AutorInnen von außen gewährt, die Interessanteres zu berichten hätten und zu reflektieren wissen, und wie viel dadurch der taz und ihren LeserInnen verloren geht, ist mir die taz zu teuer.

HALINA BENDKOWSKI, Berlin