Reaktionen auf EU-Beschluss: Russland gibt sich cool
Zwar zeigt sich Moskau von den Beschlüssen der EU unbeeindruckt, dennoch werden diese Konsequenzen für die russische Politik in der Ex-UdSSR haben.
MOSKAU/BRÜSSEL taz "Die Russlandfrage spaltete Europa", titelt die Iswestija nach dem Sondergipfel der EU zum Kaukasuskonflikt. Die Mehrheit der Europäer wolle sich nicht ernsthaft und auf Dauer mit Moskau auf einen Konflikt einlassen, meint das kremlnahe Blatt. Auch die Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta deutete die Entscheidung der EU vom Montagabend, keine Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, als Erfolg. Zwar sei die Erklärung von Brüssel so hart ausgefallen wie noch nie zuvor, die EU habe es aber nicht geschafft, irgendwelche Sanktionen zu beschließen.
Moskau gibt sich selbstbewusst und wertet die Zurückhaltung in Brüssel als weiteren Beleg für Russlands gewachsene weltpolitische Bedeutung. Mit einer offiziellen Antwort ließ sich die Regierung jedoch auffallend viel Zeit. Erst gestern Nachmittag reagierte das Außenministerium: Zwar hätten einige Staaten Sanktionen gegen Russland und ein Einfrieren der Beziehungen gefordert, die Mehrheit der EU-Staaten habe jedoch eine besonnene Herangehensweise gezeigt, heißt es in der Stellungnahme. Obwohl der EU-Gipfel beschlossen hatte, die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland auf Eis zu legen, urteilte man in Moskau nun, dass der "Kurs auf eine Partnerschaft bestätigt worden" sei. Die EU habe die Bedeutung erkannt, die eine Zusammenarbeit für alle Seiten habe.
Dennoch ist die Freude in Moskau über die EU-Beschlüsse ein wenig getrübt, auch wenn man dies öffentlich nicht zugeben möchte. Die EU-Entscheidung knüpft die weiteren Verhandlungen über ein Partnerschafstabkommen (PAK) zwischen der EU und Russland an den Abzug der russischen Truppen aus den besetzten georgischen Gebieten. Russlands Emissär in Brüssel, Wladimir Tschichow, wertete dies "als ein nicht korrektes politisches Signal an die falsche Adresse". Zwar legt Russland keinen großen Wert auf ein neues Abkommen, wie es der EU vorschwebt, die beidseitige konkrete Verbindlichkeiten festschreiben möchte. Andererseits will Moskau durch ein solches Rahmenabkommen sein internationales Gewicht als strategischer Partner der EU aufwerten. Ein Ziel, das jetzt in weitere Ferne rücken dürfte.
Bei ihrem Besuch in Moskau kommenden Montag werden Ratspräsident Sarkozy und Kommissionspräsident Barroso selbst herauszufinden versuchen, ob sie mit den Beschlüssen des Sondergipfels ihre russischen Partner beeindrucken konnten. Moskaus Hoffnung, die Europäer seien zu einer einstimmigen Reaktion nicht in der Lage, hat sich jedenfalls nicht erfüllt. Die gemeinsame Schlusserklärung begnügt sich nicht mit diplomatischen Floskeln und einem Verweis auf den von Sarkozy vermittelten Sechs-Punkte-Plan. Sie stellt vielmehr klipp und klar fest: "Solange sich die Truppen nicht auf die Positionen zurückgezogen haben, die sie vor dem 7. August innehatten, werden die Treffen zur Aushandlung des Partnerschaftsabkommens verschoben."
Die EU hat sich von Briten, Balten und Polen nicht dazu drängen lassen, die Schuld an dem Konflikt nur Moskau zuzuschieben. Wenn sie die "unverhältnismäßige Reaktion Russlands" kritisiert, setzt sie stillschweigend voraus, dass es davor eine Aktion gegeben hat, die den russischen Angriff provozierte. Auch wird offen eingeräumt, dass die Partnerschaft mit Russland für die Union von überragender Bedeutung ist: "Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen der Europäischen Union und Russland sowie in Anbetracht der globalen Probleme gibt es für den Europäischen Rat keine wünschenswerte Alternative zu starken Beziehungen zwischen den beiden Seiten."
Ebenso stark ist das Signal Richtung Georgien und Ukraine und den anderen Staaten der früheren Einflusszone der UdSSR. Georgien wird eine "uneingeschränkte und umfassende Freihandelszone", eine Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Landes sowie Visaerleichterungen in Aussicht gestellt. Es könne nicht angehen, dass Bürger Abchasiens und Südossetiens mit ihren russischen Pässen leichter in die EU einreisen könnten als Georgier, sagte Parlamentspräsident Pöttering.
Die Partnerschaft mit den Ländern Osteuropas soll auf der politischen Agenda nach oben rücken, die Nachbarschaftspolitik, die "Schwarzmeersynergie" und der Gipfel mit der Ukraine am 9. September wird eigens erwähnt. In Klartext übersetzt heißt das an die Adresse Putins und Medwedjews: Hände weg von russisch besiedelten Gebieten in Moldawien, der Ukraine und von der Halbinsel Krim.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles