Reaktion auf Katastrophe in Japan: EU will Stresstests für Atommeiler
EU-Energiekommissar Günter Oettinger schwenkt um und fordert einen Stresstest für europäische AKWs. Die EU kann solche Tests aber nicht vorschreiben.
BRÜSSEL taz | Bisher galt Günther Oettinger als Kernkraftfan. Als CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat er sich stets für die Verlängerung von AKW-Laufzeiten ausgesprochen. Auch als EU-Energiekommissar erwies er sich als Freund der Atomlobby. In seinem europäischen Energiekonzept für 2020, das Oettinger letzten November vorstellte, spielt Atomenergie noch eine tragende Rolle. Am Dienstag schwenkte er in Windeseile um: Das AKW-Unglück in Japan werfe die Frage auf, ob "wir in Europa in absehbarer Zeit ohne Kernkraft unseren Strombedarf sichern" können, sagte Oettinger. Da Deutschland die Atomkraft auf den Prüfstand stelle, könne das Konsequenzen für ganz Europa haben.
Eine erste Konsequenz könnte ein so genannter Stresstest für europäische Atommeiler sein, bei dem die Sicherheit der AKW vor Unfällen, Erdbeben oder Flugzeugabstürzen getestet wird. Das gab Oettinger am Nachmittag vor einem von ihm einberufenen Treffen mit Vertretern der Mitgliedstaaten und der Atomindustrie bekannt.
Die Kompetenzen der EU sind diesbezüglich allerdings beschränkt. Solche Tests können den Konzernen nicht vorgeschrieben werden. Viel Ausrichten kann Oettinger also nicht, da sowohl die Entscheidung über den Einsatz der Atomkraft als auch die Überwachung der Sicherheit in den Händen der EU-Staaten liegt. Die EU legt lediglich Minimalstandards für die 143 europäischen Meiler fest.
Die EU will nun herausfinden, welche AKWs in erdbebengefährdeten Zonen liegen und welche Reaktoren mit derselben Technologie arbeiten wie der japanische Katastrophenmeiler in Fukushima. Auch die Notfallpläne der Betreiber sollen auf den Tisch. Die Interessenlagen sind dabei sehr verschieden: Während Oettinger offenbar dem Ruf seiner Mentorin, Kanzlerin Angela Merkel, folgt und wohl ein paar alte Schrottreaktoren stilllegen will, hält Frankreich bisher unbeirrt an seinem technikgläubigen Atomkurs fest.
"Es wäre eine Lüge, zu behaupten, die Welt könnte von heute auf morgen auf Kernkraft verzichten", sagte der französische Außenminister Alain Juppé. Auch Großbritannien und Italien haben sich für "Ruhe" in der Atomdebatte ausgesprochen.
Bevor Europas AKWs einem Sicherheitstest unterzogen werden, ist zunächst Energiekommissar Oettinger selbst im Stress. Denn sollte er seinen Worten Taten folgen lassen, muss er sich auf eine Lobby-Offensive der Atomkonzerne gefasst machen. Wie ernst Eon, EnBW & Co. die Lage nehmen, wurde am Dienstag deutlich: Die Konzernchefs wollten persönlich am Krisentreffen mit Oettinger teilnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag