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Rassisten greifen an - Bonn weicht Volkes StimmeSchonzeit für Ausländerfeinde

■ Nicht die Rassisten sind schuld, sondern die Ausländer. Das ist die Quintessenz der Aussagen von Politikern in Bonn und Schwerin nach dem versuchten Pogrom..

Schonzeit für Ausländerfeinde Nicht die Rassisten sind schuld, sondern die Ausländer. Das ist die Quintessenz der Aussagen von Politikern in Bonn und Schwerin nach dem versuchten Pogrom an Flüchtlingen in einem Asylbewerberheim in Rostock. Jetzt soll ganz schnell das Grundgesetz verändert werden. Schon seit dem vergangenen Mittwoch war in der Hansestadt bekannt, daß für das Wochenende ein Angriff auf die Flüchtlinge geplant wurde. Doch die Polizei zeigte sich auch in der zweiten Nacht des Überfalls vollkommen hilflos.

Die rechtsradikalen Randalierer aus Rostock konnten sich gestern morgen gegenseitig auf die Schulter klopfen: Die Trümmer waren noch nicht von der Straße geräumt, als sich Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth in einer Stellungnahme zu den Krawallen für eine rasche Änderung der Asylpolitik aussprach. Die parlamentarischen Beratungen über eine „Neugestaltung“ des Asylrechts und die Aufnahmepraxis von Flüchtlingen sollten „unverzüglich“ beginnen, drängelte sie.

Über 30 Stunden lang hatten sich Rostocker Bürger eine Straßenschlacht mit einer über lange Zeit hilflosen Polizei geliefert, hatten versucht, die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge zu stürmen. Die schwersten rassistischen Ausschreitungen seit den Krawallen in Hoyerswerda im September letzten Jahres nötigte dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Kupfer (CDU), lediglich die Floskel „betroffen“ ab. Er hielt es nicht einmal für nötig, zwischen Immigranten und Flüchtlingen zu differenzieren, sondern forderte schlicht, „dem unkontrollierten Zustrom von Ausländern nach Mecklenburg-Vorpommern“ einen Riegel vorzuschieben. Für die Reaktion der Anwohner des Flüchtlingsheims äußerte Kupfer „Verständnis“. Die Grünen haben inzwischen seinen Rücktritt gefordert.

Inzwischen wird immer deutlicher, daß die Ausschreitungen in Rostock hätten verhindert werden können. Der Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter erhob schwere Vorwürfe gegen Kupfer und den Rostocker Innensenator Peter Magdanz. Den beiden seien Pläne zum Überfall auf das Flüchtlingsheim seit Mittwoch vergangener Woche bekannt gewesen. Er selbst habe beide Instanzen mehrmals informiert, nachdem er von anonymen Anrufen bei Rostocker Tageszeitungen erfahren habe, sagte Richter.

Die Polizei stand den Randalierern stundenlang völlig hilflos gegenüber. Erst nachdem Verstärkung aus Hamburg und Schleswig-Holstein eintraf, konnten die etwa 600 Polizisten und Bundesgrenzschützer die Situation unter Kontrolle bringen. Die Polizei nahm rund 150 Menschen fest.

Nach Informationen der taz befinden sich unter ihnen auch 60 linke DemonstrantInnen, die nach eigenem Bekunden nicht in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt waren. 35 Polizeibeamte wurden verletzt; einer von ihnen schwer.

Auch der stellvertretende SPD- Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse hielt der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern Versäumnisse vor. Sie habe seit Monaten gewußt, daß das Zentrale Aufnahmeheim für Asylbewerber des Bundeslandes in Rostock-Lichtenhagen an einem „höchst problematischen Standort“ untergebracht sei. Thierse verurteilte in Berlin zugleich die „fürchterlichen Ausschreitungen“. In Bonn verlangte CDU-Generalsekretär Peter Hintze eine harte Bestrafung der Gewalttäter.

Obwohl der Sturm auf das Flüchtlingsheim offenbar von langer Hand geplant worden ist, war der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommers nach eigenen Angaben über die geplanten Krawalle nicht informiert. Der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Norbert Seidel, erklärte dpa auf Anfrage: „Wir haben davon nichts gewußt, da wir noch keinen Zugang zu der Szene haben.“ Es sei eine „perverse Situation“, daß sich rechtsradikale Kräfte als Ordnungsmacht aufspielten, und das von der Bevölkerung auch noch akzeptiert würde. Auf einer Pressekonferenz in Bonn hatten Verfassungsschützer vor kurzem darauf hingewiesen, daß rechtsradikale Übergriffe auf Ausländer in Ostdeutschland weiter zunehmen würden, während die Zahl der rassistischen Gewalttaten im Westen zurückgehen würde.

Die Bewohner des Flüchtlingsheims werden seit gestern vormittag umquartiert. Sie sollen zunächst in Notunterkünfte nach Bad Doberan und — ausgerechnet — Greifswald gebracht werden. Von dort waren Asylbewerber in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder nach Schleswig-Holstein geflüchtet, weil auch sie rechtsradikalen Angriffen ausgesetzt waren.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl, Herbert Leuninger, forderte gestern ausreichenden Polizeischutz für gefährdete Flüchtlingsheime in Ostdeutschland. Eine solche zusätzliche Bewachung lehnten Sprecher der ostdeutschen Innenministerien und der Polizei bereits gestern ab. Ein verstärkter Schutz sei nur „im Bedarfsfall“ vorgesehen, erklärte ein Sprecher des polizeilichen Lagezentrums in Schwerin.

Allein im ersten Halbjahr 1992 wurden in Mecklenburg nach Polizeiangaben 30 Überfälle auf Asylbewerberheime verübt. Im März wurde in Saal bei Rostock ein Rumäne auf offener Straße von 21 Männern zu Tode getreten. In dem knapp zwei Millionen Einwohner großen Mecklenburg müssen zur Zeit 11.300 Flüchtlinge leben. Über die Hälfte von ihnen kommt aus Rumänien, rund 12 Prozent stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt suchen Menschen aus 80 Nationen Zuflucht in dem neuen Bundesland.

Bundesinnenminister Seiters, der gestern morgen nach Rostock flog, kommentierte den Pogromsversuch mit den Worten, daß „große Teile der Bevölkerung besorgt über den massenhaften Zustrom von Asylbewerbern“ seien. Der Christdemokrat gab vor Ort bekannt, er sei „sehr betroffen“. Seiters begrüßte während seines Besuches in Rostock den Kurswechsel der SPD: Die Führungsspitze der Sozialdemokraten hatte am Samstag bekanntgegeben, daß sie nunmehr bereit sei, einer „Ergänzung“ des Grundgesetzartikels 16 zuzustimmen.

Eine „Asyl-Vereinbarung“ der SPD mit den Koalitionsparteien hält der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bis zum Jahresende für möglich. Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Karl Heinz Blessing, räumte in einem Interview ein, daß diese Entscheidung in seiner Partei „nicht unumstritten“ sei. Es werde „noch viel Überzeugungsarbeit kosten, gegenüber der Partei deutlich zu machen, daß das eine vernünftige Linie ist“. An dem Satz „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ wolle die SPD „nicht fummeln“. Blessing: „Es kommen aber einfach zu viele rein.“

Der erste Widerstand gegen den Vorstoß der SPD-Führung regte sich bei den Hamburger Genossen. Der SPD-Landesvorsitzende Helmut Frahm betonte, daß eine Abweichung von der bisherigen Position der SPD in dieser Frage einer sorgfältigen Beratung und Beschlußfassung im Parteirat und auf einem Bundesparteitag bedürfe. Der Kernsatz des Artikel 16 gehöre zum „Urgestein unserer Verfassung“.

Amnesty international hat auf das Einknicken der Sozialdemokraten gestern „enttäuscht und alarmiert“ reagiert. Der Beschluß der SPD- Spitze, die Erarbeitung einer Liste „verfolgungsfreier Staaten“ anzustreben, um Asylbewerber aus diesen Ländern künftig pauschal abweisen zu können, läute die Aufgabe des individuellen Asylrechts ein, heißt es in einer Erklärung. Claus Christian Malzahn

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