Rassismus im ukrainischen Fußball: Das mühsame Öffnen der Türen
Pawel Klimenko kämpft gegen Rassismus in ukrainischen Stadien. Das kann lebensgefährlich sein. Fußballfunktionäre und Politiker leugnen das Problem.
KIEW taz | Pawel Klimenko ist zuversichtlich. Vor dem ersten Spiel in Kiew zwischen der Ukraine und Schweden hat er nicht allzu viele Problemfans ausgemacht in der Innenstadt. „Nur ein paar wenige russische Nazis“, meint er.
Klimenko streift durch die Fanzone und sieht sich um. Das ist seine Aufgabe am Tag des Spiels zwischen Schweden und der Ukraine. Er ist einer jener engagierten Fans, die von der Uefa gefördert, das Geschehen in und um die Stadien beobachten und rassistische, antisemitische oder faschistische Vorkommnisse protokollieren sollen.
An diesem Montag bereiten ihm die Aussagen ukrainischer Offizieller und Politiker indes mehr Kopfzerbrechen als rechte Fans oder rassistische Zuschauer. Sowohl der ukrainische Ministerpräsident Mikola Asarow als auch Nationaltrainer Oleg Blochin hatten vehement abgestritten, dass überhaupt Rassismus in der Ukraine existiere.
Klimenko kann das nicht verstehen. Er ist Anhänger des Erstligisten Arsenal Kiew. Dessen Fans engagieren sich gegen Rassismus und Neofaschismus in den Kurven der ukrainischen Stadien. Ein gefährliches Engagement. Klimenko erzählt, dass er sein Gesicht verhüllt, wenn ukrainische Medien auf ihn zukommen, um über ihn und seine Arbeit für die von ihm mitgegründete Organisation „Fußball gegen Vorurteile“ zu berichten.
Überfall mit Schwerverletztem
Gesicht zu zeigen im Kampf gegen finstere Fanseilschaften ist gefährlich in der Ukraine. T-Shirts mit der Aufschrift „Love football – hate racism“ zu verteilen, so wie es Arsenal-Anhänger getan haben, ist nicht selbstverständlich. Unvergessen ist der Überfall von 50 organisierten Nazi-Anhängern auf 30 Arsenal-Fans nach einem Ligaspiel im August 2010. Mit Messern und Schlagringen wurden die Arsenal-Fans angegriffen. Einer wurde durch Messerstiche in die Brust lebensgefährlich verletzt. Klimenko ist heilfroh, dass er nicht dabei war. Es war Zufall. Er weiß, dass es auch ihn hätte treffen können, es ihn jederzeit treffen kann.
An diesem Tag hat er indes keine Angst. „Ich habe den Eindruck“, sagt er, „dass sich die Nazifans vom Turniergeschehen bis jetzt bewusst fernhalten.“ Damit generell nichts passiert, engagiert er sich, holt sich Rat bei internationalen Fanvereinigungen wie Footbal against Racism in Europe (Fare) oder Football Supporter Europe (FSE).
Klimenkos Arbeit ist bekannt in der Ukraine, und er dachte, das Problem des Rassismus im Fußball sei auch in seiner Heimat erkannt worden. „Das Leugnen des Problems verschließt wieder alle Türen, die wir zumindest ein Stück öffnen konnten.“
Er schüttelt den Kopf. Nicht nur Oleg Blochin reagiert regelrecht genervt auf das Thema. Als er bei einer Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Schweden auf das Rassismusproblem angesprochen wurde, nahm er den Kopfhörer für die Simultanübersetzung ab und hätte das Podium am liebsten verlassen. Dabei konnte er froh sein, dass ihn keiner auf seine früheren Äußerungen angesprochen hat.
„Nicht von irgendwelchen Zumba-Zumbas“
Er selbst war Teil des Rassismusproblems, als er sich 2006 darüber beklagte, dass zu viele Nichtukrainer in der heimischen Liga spielen würden. Auf den ukrainischen Nachwuchs anspielend sagte er damals: „Lass sie von Schewtschenko oder Blochin lernen und nicht von irgendwelchen Zumba-Zumbas, die sie vom Baum geholt und ihnen zwei Bananen gegeben haben, damit sie in der ukrainischen Liga spielen.“ Am Sonntag sagte er: „Ich habe keine Lust, über Rassismus zu sprechen.“
Es ist, als hätte sich nichts getan im EM-Gastgeberland. Dabei setzte Pawel Klimenko große Hoffnungen auf die Uefa und ihr Programm „Respect Diversity“, unter dessen Label auch das Fan-Monitoring läuft. Doch die Uefa tut sich schwer, das schöne Label mit echten Engagement zu unterfüttern, und weiß nicht so recht, wie weit sie gehen soll in ihrer antirassistischen Haltung.
Einerseits fordert sie die Bürgermeister der 16 Orte, in denen EM-Teams wohnen, trainieren oder spielen, dazu auf, mit polizeilicher Gewalt gegen alle rassistischen Einlassungen vorzugehen. Andererseits hat Uefa-Präsident Michel Platini kein Verständnis für Spieler, die nach rassistischen Beleidigungen das Spielfeld verlassen wollen.
Während Klimenko über seine Arbeit berichtet, ruft eine Kollegin aus Donezk an. „Da gibt es Probleme mit der Akkreditierung“, meint Klimenko. Er macht sich mit dem schwedischen Fanbeobachter am frühen Nachmittag auf den Weg zum Olympiastadion. Es könnte ja sein, dass es auch hier Probleme mit dem Zutritt zur Arena geben könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen