Rassismus bei der Wahl: "Michelle Obama macht mir Angst"

Wenn im US-Wahlkampf die Rassenfrage ins Spiel kommt, wird es kompliziert. Viele wollen nicht zugeben, dass sie einen schwarzen Kandidaten ablehnen.

Wer hat Angst vor Frau Obama? Anscheinend einige. Bild: ap

NEW YORK taz Niemals würde sie einen Schwarzen wählen, habe ihre 92jährige Cousine gesagt, erzählt die ältere Dame, die als ehrenamtliche Fremdenführerin im Pioniermuseum von Wichita in Kansas arbeitet. Darauf habe ihr Bruder, den sie bislang für völlig humorlos gehalten habe, geantwortet: "Na ja, aber Obama hatte doch eine weiße Mutter. Kannst Du ihn nicht wenigstens für zwei Jahre wählen?" Die Anekdote ist bemerkenswert. Nicht nur deshalb, weil das Thema Rassismus offen angesprochen wird. Sondern vor allem, weil die Erzählerin einräumt, dass es in der eigenen Familie eine Rolle spielt.

Im Regelfall hört es sich anders an, wenn die Rassenfrage ins Spiel kommt. Ein weißer Besucher der Präsidentenbibliothek von Bill Clinton in Little Rock, Arkansas, meint, er sei begeisterter Anhänger der Clintons und habe sich sehr gewünscht, dass Hillary als demokratische Kanidatin nominiert würde. Jetzt müsse er aber leider John McCain wählen. Weshalb? Abschätzender Blick zur Gesprächspartnerin hinüber, dann: "Michelle Obama macht mir Angst. Sie jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken." Was ist denn an der Ehefrau von Barack Obama bedrohlich? Falsche Frage. Das Gesicht verschließt sich: "Ich kann das nicht beantworten. Ist nur so ein Bauchgefühl. Und ja vielleicht auch Quatsch."

Wenn Barack Obama oder seine Ehefrau als "unheimlich" charakterisiert werden, wenn betont wird, man wisse doch gar nicht, wo der demokratische Präsidentschaftsbewerber "eigentlich herkommt" oder wenn man erzählt, dass man "andere" Leute kenne - man selber sei nicht so, Gott bewahre! - , die einen Schwarzen nicht für wählbar hielten: dann kann das ein Versuch sein, vorsichtig die Fühler auszustrecken und herauszufinden, ob das Gegenüber das eigene Unbehagen an der Hautfarbe des Kandidaten teilt. In jeder Gesellschaft gibt es Chiffren, mit denen Anhänger von Einstellungen, die als politisch verpönt gelten, auszuloten versuchen, ob das Gegenüber die eigene Meinung teilt. Ein Beispiel für ein solch "verborgenes" Wahlkampfhema in Deutschland, über das manche nur mit Gleichgesinnten offen redeten: Angela Merkel und die Ansicht, dass eine Frau nicht Bundeskanzlerin sein könne.

Kaum etwas anderes ist für Wahlforscher vergleichbar schwer einzuschätzen wie die Folgen dieser heimlichen Gegnerschaft zum herrschenden, politischen Grundkonsens - die Leute reden ja eben nicht darüber. Auf etwa zehn Prozent schätzen Wissenschaftler den Anteil beinharter, offener Rassisten unter den US-Wählern. Diese Gruppe dürfte Barack Obama jedoch nicht den Sieg kosten: Ohnehin würde kaum jemand in ihren Reihen einen Demokraten wählen. Größere Sorgen bereiten den Parteistrategen jene Männer und Frauen, die sich nicht zum eigenen Rassismus bekennen wollen oder sich dessen nicht einmal bewußt sind. Im demokratischen Lager ist in den letzten Wochen oft an Tom Bradley erinnert worden, den ehemaligen schwarzen Bürgermeister von Los Angeles, der 1982 die Wahl zum Gouverneur von Kalifornien trotz glänzender Umfragewerte überraschend verlor. Droht Barack Obama ein ähnliches Schicksal?

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Stanford-Universität scheint geeignet, die Unruhe zu schüren. Ihr zufolge halten mehr als ein Drittel aller weißen Demokraten und unabhängigen Wähler ein oder mehrere Stereotypen über Schwarze für richtig, wie beispielsweise: diese seien faul, gewalttätig oder selber schuld an ihren Problemen. Die Befragten mussten übrigens am Computer antworten, weil die Wissenschaftler davon ausgingen, dass die dort gegebenen Antworten ehrlich sind als die Antworten in einem direkt geführten Interview. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass ohne diesen latenten Rassismus Obama bis zu sechs Prozent mehr Stimmen in Umfragen erhalten könnte.

Bei näherem Hinsehen relativiert sich allerdings die düstere Analyse. Sechs Prozent "mehr" - die sind angesichts des inzwischen deutlichen, konstanten Vorsprungs des Demokraten für einen Sieg nicht mehr erforderlich. Außerdem läßt die Konzentration auf weißen Rassismus die Tatsache außer acht, dass die überwältigende Mehrheit der Schwarzen und zwei Drittel der Latinos mit Obama sympathisieren. Angesichts der eindrucksvollen Zahlen neu registrierter Wähler in diesen Bevölkerungsgruppen ist das ein Faktor, der die rassistischen Vorbehalte von Euroamerikanern ausgleichen könnte. Anders ausgedrückt: Weiße Rassisten scheinen die nächste US-Wahl nicht entscheiden zu dürfen.

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