Raphael Thelen über Klimajournalismus: Veränderung durch Unterbrechung

Der ehemalige Journalist Raphael Thelen erzählt, warum der Journalismus in Deutschland in der Klimakrise versagt. Und wie das dazu beigetragen hat, dass er nun Aktivist bei der „Letzten Generation“ ist.

Es geht um Gerechtigkeit. Dafür blockiert Raphael Thelen jetzt Straßen und es fühlt sich gut an. Foto: Jonas Gehring

taz lab, 16.03.2023 | Interview RUTH LANG FUENTES

taz lab: Raphael Thelen, versagt der Klimajournalismus in Deutschland?

Raphael Thelen: Der Journalismus in Deutschland versagt in der Klimakrise. Seine Aufgabe ist es, Menschenrechte, Demokratie und Verfassung zu schützen. Als vierte Gewalt im Staat. Bei Themen wie der WM in Katar klappt das gut. Beim Klima ist es eine Katastrophe. Wir müssen innerhalb dieses Jahrzehnts ein paar einschneidende Dinge tun, um unter 1,5 Grad zu bleiben. Sonst überschreiten wir Kipppunkte und die Krise wird zur Bedrohung für die menschliche Zivilisation. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist Klimaschutz mittlerweile kein grünes Thema mehr. Trotzdem kommt oft der Vorwurf gegenüber Klimajournalisten, man sei Aktivist. Das ist Bullshit.

Woran liegt das?

Vielen fällt es schwer, sich einzugestehen, dass wir Teil des Problems sind. Hinzu kommt der jahrelange Lobbyismus von Öl- und Gaskonzernen. In einer Studie von Exxon Mobile von 1981 stand: Werden weiter Fossile verbrannt wie bisher, wird das katastrophale Konsequenzen für einen Großteil der Weltbevölkerung haben. Der Konzern hat das dann in seinen Schubladen verschwinden lassen und Milliarden für Lobbyarbeit ausgegeben, um die Klimakrise anzuzweifeln. Das hat funktioniert, und die Krise galt lange als Ökothema. Das wirkt in vielen Redaktionen immer noch nach.

Das ist zwar besser geworden seit Greta Thunberg, doch jetzt puschen die Konzerne vermeintliche technische Lösungen, und in den Medien geht es ständig um Wasserstoff oder E-Autos. Alles wirtschaftsnaher Bullshit. Die Produktion einer Autobatterie emittiert bis zu 13 Tonnen CO2. Das ist kein Klimaschutz.

Raphael Thelen, Jahrgang 1985 ist preisgekrönter Reporter, Autor und Speaker. Seit mehreren Jahren liegt sein Fokus auf der Klimakrise. 2021 erschien zusammen mit Theresa Leisgang sein zweites Buch: "Zwei am Puls der Erde – Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise und warum es trotz allem Hoffnung gibt". Im selben Jahr gründete er das „Netzwerk Klimajournalismus Deutschland“. Seit 2022 ist er Aktivist der „Letzten Generation“.

Foto: Paula Winkler

Das klingt jetzt schon sehr aktivistisch.

Das ist nicht aktivistisch. Das sind die Fakten.

Was ist für Sie Klimajournalismus, was -aktivismus?

Es gibt große Überschneidungen. Beide haben das Anliegen, die Klimakrise zu stoppen. Das ist verfassungsrechtlich gedeckt, kein Special-Interest-Thema. Außerdem hat es eine riesige Gerechtigkeitskomponente. Ich habe das immer so verstanden: der Journalismus soll die Mächtigen kontrollieren im Auftrag der Bürger:innen. RWE und diese ganzen Energiekonzerne haben gerade Übergewinne gemacht und wollen jetzt nicht mal ein bisschen was abgeben? Wo stehen da die Journalist:innen?

Andere würden sagen, die Aufgabe von Journalismus ist, erst mal zu berichten.

Auch. Aber es gibt keine Neutralität. In dem Augenblick, in dem ich auswähle, was ich berichte, habe ich keinen objektiven Standpunkt mehr. Würden wir jetzt drüben bei Axel Springer sitzen, würden Sie mir andere Fragen stellen. Es kann mir keiner erzählen, es gehe nur ums Berichten. Wichtig ist, dass man wahrheitsgetreu bleibt als Journalist. Dieses Gebot hat Aktivismus nicht. Aber in der Klimakrise gibt’s ja einen wissenschaftlichen Konsens, man muss nichts erfinden. Doch wenn man sich als Journalist auf den stützt, gilt man als Aktivist. Das ist das Problem.

Spielt die Angst, die eigene journalistische Karriere zu gefährden, eine Rolle?

Ein Beispiel ist der Fall von Jürgen Döschner, WDR, einer der führenden deutschen Klima-, Energie- und Russland-Experten. Er hat einen Mitschnitt veröffentlicht, in dem Armin Laschet zugibt, dass er den Hambacher Forst unter falschen Vorwänden hat räumen lassen. Als das rauskam, wurde Döschner, der vorher im Schnitt 500 Mal im Jahr auf Sendung war, zum Spartensender Cosmo versetzt.

Eine Kollegin, die Theresa Leisgang und mich zu unserem Buch interviewt hat, sagte als das Mikro aus war: Ich würde voll gerne mehr über das Klima berichten, aber ich kriege immer Druck von meinem Redaktionsleiter. Ich kenne diesen Druck selbst. Ich stand immer schon sehr links in den Redaktionen. Beim Spiegel in der Kantine wurde mal süffisant gesagt: Raphael, du gehst doch auf Demonstrationen, oder?

Der Aktivismusvorwurf kam dann ganz stark beim Klimathema. Als ich anfing, zu sagen, dass wir weg vom Wachstum müssen, schlug mir immer wieder ein subtiles Misstrauen entgegen: Können wir dir noch trauen? Können wir dich noch beauftragen? In den Redaktionskonferenzen wurde ausführlich diskutiert, ob meine Artikel jetzt aktivistisch oder journalistisch seien. Deswegen bin ich die Schritte gegangen.

Sie haben 2021 erst einmal das Netzwerk Klimajournalismus mitgegründet, warum?

Klima müsste analog zu Menschenrechten und Demokratie nicht als Thema behandelt werden, sondern als Dimension jeden Themas. Wenn ein Reporter zur WM in Katar fährt, müsste er auch über Klimaaspekte berichten. Katar ist durch den Verkauf von Öl reich geworden und wird bald durch die Klimakrise unbewohnbar sein. Doch Klima wird weiterhin als Thema behandelt, nicht als Dimension, das reicht nicht.

Also haben Sie sich doch entschieden, Aktivist zu werden.

Weil ich das Gefühl hatte, ich kann nicht mehr sagen und ­schreiben, was ich will, ohne ständig mit der Frage konfrontiert zu werden: „Bist du jetzt Aktivist?“ Ich habe immer mehr Einschränkungen bekommen. Die Unzufriedenheit, das Bedürfnis, was anderes zu machen, wuchs.

Warum die Letzte Generation?

Kai Bergmann von Germanwatch sagte mir mal in einem Interview: It’s either gonna be change by disruption or change by disaster. Was macht die Letzte Generation? Sie setzt konsequent auf Unterbrechung, auf „disruption“. Das scheint mir ein guter Plan.

Sie hätten auch in die Politik gehen können.

Das machen auch einige ­Aktivisten. Aber das sind unterschiedliche Aufgaben. Manche schreiben Gesetze, andere ­kritisieren sie. Manche ver­teidigen eine ungerechte Ordnung, andere wollen sie ver­ändern. Jeder muss seine Rolle finden.

Haben Sie Zuversicht jetzt, da Sie die Fronten gewechselt haben?

Die Welt ist zu komplex, um zu sagen, wie es ausgeht. Vielleicht gibt’s übernächstes Jahr einen Atomkrieg und wir hätten uns alles sparen können. Vielleicht löst künstliche Intelligenz unsere Probleme oder macht alles noch viel schlimmer. Mir geht es nicht ums CO2 oder das 1,5-Grad-Ziel. Es ist eine riesige Gerechtigkeitskrise: Ölkonzerne sind sehr reich geworden und wussten seit den Achtzigern über die Konsequenzen Bescheid. 20 Konzerne sind weltweit verantwortlich für 30 Prozent aller Emissionen. In Ostafrika hungern gerade 28 Millio­nen Menschen. Ein Drittel von Pakistan ist abgesoffen. Die Verantwortlichen müssen für diese Krise bezahlen.

Was hilft Ihnen dann, wenn nicht Zuversicht?

Meine Werte. Mein innerer Antrieb. Ich will Gerechtigkeit. Deshalb gehe ich auf die Straße. Sonst müsste ich mich den ganzen Tag verleugnen und sagen, das interessiert mich alles nicht. Aber es interessiert mich und macht mich wütend. Als ich mich zum ersten Mal auf die Straße gesetzt habe, haben mich zwei Autos fast überfahren, Leute rumgepöbelt. Trotzdem hat es sich viel besser als alle anderen Proteste zuvor angefühlt. Ich sitze hier und blockiere, unterbreche den Lauf der Dinge und sage nein. Das war einfach klar, ehrlich. Geht das alles am Schluss gut aus? Keine Ahnung. Aber ich würde mich schlechter fühlen, wenn ich es nicht tun würde.

Raphael Thelen auf dem taz lab: "Stimme meiner Generation: Was geht bei der Klimabewegung?" Kulturbühne, 11 Uhr.

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taz lab Zukunft & Zuversicht – der große taz-Kongress fand am Samstag, 22. April 2023 statt.

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