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Ramstein-JahrestagDas durchstoßene Herz

Vor 20 Jahren brachte der Absturz einer italienischen Macci MB 339 A während einer Flugshow auf der US-Airbase Ramstein Tod und Verderben in die Pfalz.

Schock für die Zuschauer: das Unglück von Ramstein. Bild: ap

"Ich kann Ihnen versichern, dass das italienische Team austrainiert und vorbereitet war und bereit, die Mission zu erfüllen", erklärte der US-General und Oberbefehlshaber der Nato-Luftstreitkräfte in Europa, William Kirk, am Tag nach dem flammenden Inferno auf der US-Airbase Ramstein bei Kaiserslautern. Breitbeinig wie John Wayne hatte der mit fünf Sternen dekorierte Offizier da gerade das "Battlefield" im Pfälzer Wald durchmessen - offenbar gänzlich unbeeindruckt von den zu bizarren Gebilden geschmolzenen Hamburgerständen, der verkohlten Piste und dem verbrannten Gras, den Blutlachen und den Kleidungs- und Papierfetzen.

Auch an den zusammengeschobenen und ausgebrannten Autos der Opfer waren Kirk und der extra aus den Staaten eingeflogene General John Galvin zackig vorbeimarschiert. Dabei waren hier am Tag zuvor über den Köpfen von 300.000 Besuchern der Flugshow die Militärmaschinen kollidiert und brennend in die Zuschauermenge hineingestürzt.

Und was war die Mission der Kunstflugstaffel "Frecce Tricolori" mit ihren fünf Düsenflugzeugen und auch der anderen Formationen aus verschiedenen Staaten der Nato an diesem 28. August 1988 in Ramstein? "Wir hatten hier zu demonstrieren, was unsere Flugzeuge und unsere Air-Crews zu leisten imstande sind", antworte General Kirk lapidar. Der Kampfjet der italienischen Luftwaffe mit dem Piloten Ivo Nutarelli in der Kanzel, der nach einem Flugfehler während der Darstellung der Figur "durchstoßenes Herz" nur wenige hundert Meter über den Köpfen der Schaulustigen mit der Maschine eines Kameraden kollidierte und beim Aufprall nur 50 Meter vor den Zuschauerrängen explodierte und sofort in Flammen aufging, hatte schließlich im Prinzip seinen militärischen Zweck erfüllt: Menschen töten und verwunden. Unabsichtlich zwar und mitten im Frieden, aber nicht unvorhersehbar.

Schließlich war es schon vor dem katastrophalen Absturz in Ramstein zu tödlichen Unfällen auf militärischen und zivilen Flugtagen überall in der Welt gekommen. Der Präsident der Evangelischen Kirche in der Pfalz, Werner Schramm, hatte noch am Tag vor der Flugshow vor dem Besuch gewarnt und die Vorführung der Kampfmaschinen als "Vergötzung" angeprangert. Wegen Sicherheitsbedenken und aus Sorge um die Umwelt propagierten auch der Landkreis Kaiserslautern und die Stadt den Verzicht auf das Spektakel. Entsprechende Resolutionen wurden mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Freien Wählern verabschiedet - gegen die Stimmen der CDU. Alles vergeblich. Land und Bund als Adressaten der Protestnoten reagierten nicht.

Am Flugshow-Tag stand dann eine Hand voll Friedensfreunde vor dem "Maingate" der Base, um gegen die Zurschaustellung der Militärmaschinerie zu protestieren. Sie wurden von den Besuchern aus der ganzen Region, aus Frankreich und aus Luxemburg, die in Massen zu diesem Spektakel strömten, belächelt und manchmal auch beschimpft. In der Pfalz nämlich liebten und lieben die Menschen ihre "Amis"; meistens. Army und Airforce waren und sind Arbeitgeber und Dienstleistungsnehmer, die Offiziere Mieter und alle GIs Kunden und Gäste.

"Beim Aufstehen merkte ich, dass da etwas von meinen Armen, meinem Rücken und meinem Gesicht hing. Ich zog daran, um es wegzuwerfen. Aber es war meine Haut." Nass vom Kerosin der zerschellten Maschine stand Roland Fuchs sofort in Flammen; und die Druckwelle schleudert ihn durch die Luft. Er hat "das Grauen" überlebt - physisch und psychisch gezeichnet. Sein junge Frau Carmen war von einem Trümmerteil am Kopf getroffen worden und sofort tot. Ihre kleine Tochter Nadine erlag am 9. September, dem Tag der Beerdigung der Mutter, ihren fürchterlichen Brandwunden.

Rund 500 Menschen wurden in Ramstein zum Teil schwer verletzt; 39 von ihnen starben nur Stunden oder Tage später vor allem an den Folgen der großflächigen Verbrennungen. 31 Besucher der Flugshow waren sofort tot; sie verbrannten bis zur Unkenntlichkeit oder wurden von Trümmerteilen getroffen. Hunderte laborieren noch heute an ihren schweren Verletzungen. Und die seelischen Verwundungen wirken nach; auch bei den Angehörigen der 70 Toten und der Schwerverletzten.

Kann man das alles aushalten? Ja. Roland Fuchs begann zu schreiben und suchte im Internet verzweifelt nach Menschen, die seine Tochter in den Tagen nach der Katastrophe noch lebend gesehen haben. Gemeldet hat sich die US-Amerikanerin Tricia, deren Mann im US-Hospital in Landstuhl verstarb. Er soll noch Stunden nach seinem Abtransport nach Landstuhl "innerlich weiter gebrannt" haben. Nadine lag wahrscheinlich in einem Bett neben ihm auf dem Flur des völlig überfüllten Hospitals, am Körper verbrannt, aber nicht im Gesicht. Sie sei von einem Sanitäter versorgt worden. Alle hätten geglaubt, dass das Mädchen überleben würde, schrieb Tricia vor jetzt drei Jahren an Roland Fuchs: "Ihr Gesicht werde ich nie vergessen. Sie wird immer ein Engel für mich sein."

Kann man so etwas aushalten? Nein. Polizisten und Feuerwehrleute haben sich umgebracht - noch Monate und Jahre nach dem großen Sterben auf der Airbase. Sie konnten das Erlebte nicht verarbeiten. Und sie fanden keinen Zugang zu Opfergruppen oder Therapeuten; Opfer waren sie ja schließlich nicht. Oder doch? Roland Fuchs schreibt in seinen Erinnerungen, was für grausame Bilder den Betroffenen auch heute noch Nacht für Nacht durch die Köpfe gehen: "Die brennenden Menschen, ihre Schreie und ihre Blicke."

Hilfe fanden viele Traumatisierte nicht bei den Behörden und oft auch nicht in den Kliniken. Monetäre Entschädigungen für das seelische Leid gab es ohnehin nicht, trotz aller Bemühungen von Opferanwälten. 2003 wies das Koblenzer Landgericht alle Klagen von Opfern und Hinterbliebenen ab. Das "Posttraumatische Belastungssyndrom" (PTBS) sei 1988 noch kein anerkanntes Krankheitsbild gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Sache sei deshalb verjährt. Ein Schlag der Judikative in die gezeichneten Gesichter der Opfer. Schmerzensgeld gab es maximal 5.000 Mark. Alle Behandlungskosten dagegen wurden übernommen. Der Bund, die USA und Italien hatten dafür Geld in einen Opferfonds eingezahlt.

Um die Traumatisierten kümmern sich seit fast 20 Jahren der Internist und Psychiater Hartmut Jatzko und seine Frau Sybille, eine Gesprächstherapeutin. Zu der von ihnen gegründeten Nachsorgegruppe stoßen auch heute noch Opfer der Katastrophe oder Einsatzkräfte, die sich spät eingestehen, mit dem Erlebten alleine nicht mehr fertig zu werden. Oder bei denen sich die Symptome von PTBS erst nach vielen Jahren bemerkbar machen: Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit, Flashbacks.

Ramstein 20 Jahre danach. Die Base ist größer als je zuvor und ausgestattet mit einer neuen Startbahn - auch für die gigantischen Transportmaschinen der USA und der Nato. Ramstein ist der größte Stützpunkt der USA außerhalb der Vereinigten Staaten und Drehscheibe für die Einsätze der US-Streitkräfte im Nahen Osten. Das nach der Katastrophe von Ramstein von der Bundesregierung verfügte Verbot von Flugvorführungen zur Volksbelustigung ist längst obsolet. Die gleich nach dem Feuersturm heftig geführte Debatte über die Einstellung auch aller militärischen Tiefflüge war schon nach Tagen beendet.

General Galvin hatte deren "Mission" bereits auf dem noch rauchenden "Schlachtfeld" von Ramstein als "militärische Notwendigkeit" bezeichnet: "Tiefflüge müssen weiter zur Verteidigung Westeuropas durchgeführt werden." Da aber stand der Russe auf dem Prenzlauer Berg - und hätte in 15 Minuten auf dem Kurfürstendamm sein können.

Und heute? Vielleicht sagt SPD-Chef und Ministerpräsident Kurt Beck aus der Pfalz an diesem Gedenktag etwas dazu. Am Vormittag während einer Gedenkstunde im Landtag vielleicht? Am Nachmittag beim "offiziellen Gedenken" am Denkmal für die Opfer im Wald an der Base? Oder nach dem Gottesdienst in der Kirche St. Nikolaus in Ramstein. Wenn dann nicht gerade eine Galaxy mit verwundeten GIs aus dem Irak für das US-Hospital in Landstuhl mit Donnerhall auf der Base landet.

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