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Archiv-Artikel

Ralph Bollmann Politik von oben Müntes Mist

Nach der Wahl des Bundespräsidenten ist die Opposition glücklich und die Regierung frustriert. Aber war das nicht schon immer so? Und warum streben trotzdem alle weiter nach der Macht?

In dieser Woche habe ich gelernt, dass auch Politiker glückliche Menschen sein können. Ich sah, wie Gregor Gysi am Vormittag im hellen Sommeranzug auf das Bundestagsgebäude zustrebte, herrlich entspannt trotz des präsidialen Dilemmas. Ich traf Jürgen Trittin auf dem Gartenfest der Niedersachsen, wie er in die Sonne blinzelte und sich über den Erfolg seines Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck freute. Ich beobachtete Sigmar Gabriel, wie er vergnügt durchs Plenum der Bundesversammlung stapfte.

Ich erschrak dagegen, als ich nach langer Pause mal wieder Guido Westerwelle zu Gesicht bekam. Er lächelte immer noch, aber es war nicht mehr das Siegerlächeln des vorigen Herbstes, sondern das scheue Lächeln eines verunsicherten Menschen. Angela Merkel sah sowieso schlecht aus in letzter Zeit, in den Tagen nach dem Köhler-Rücktritt und dann besonders nach dem Gauck-GAU vor der Wulff-Wahl.

Es ging ihr besser, als Rot-Grün noch regierte. Opposition ist Mist, pflegte der damalige SPD-Chef Franz Müntefering zu sagen. Er wirkte dabei angestrengt, es gab bei diesem Satz eine Schere zwischen Text und Bild. Der Hinweis wäre ja gar nicht nötig gewesen, wenn er jedem Parteifreund unmittelbar eingeleuchtet hätte.

Die Sehnsucht nach Opposition galt damals als Spezifikum der SPD. Inzwischen ist auch das sogenannte bürgerliche Lager davon erfasst. Vielen Christdemokraten ist die Lust am Regieren vergangen, zumindest in seiner derzeitigen Form. Einigermaßen glücklich wirkt in diesen Tagen nur einer, trotz etwas unschöner Wahl: der neue Bundespräsident Christian Wulff. Kein Wunder, er muss im neuen Amt ja auch keine kontroversen Entscheidungen mehr treffen.

Aber die anderen können es irgendwie nicht lassen. Kaum hatte der Parlamentspräsident am Mittwoch die Bundesversammlung eröffnet, da eilte FDP-Chef Westerwelle schon zur Bank der SPD, die Grünen-Spitze strebte zu Wulff und den Wahlleuten der CDU. Auf dem Weg zu neuen Bündnissen. Fürs Regieren. Warum eigentlich?

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Archiv