Ralf Sotscheck über das neue Irland: Vereinigung 2024?
Was ist mit den Iren los? Plötzlich haben sie ihr Umweltbewusstsein entdeckt, das bisher unterentwickelt war – bis in die achtziger Jahre wegen der Armut und hohen Arbeitslosigkeit, dann aufgrund des Nachholbedarfs während des Booms. Und nun wählen sie die Grünen.
Der Wandel der irischen Gesellschaft blieb im Ausland lange Zeit unbemerkt. Seit der Legalisierung der Homosexualität vor einem Vierteljahrhundert hat sich jedoch viel getan, der Einfluss der katholischen Kirche ist geschwunden. Verhütungsmittel und Scheidung wurden legalisiert, die gleichgeschlechtliche Ehe wurde per Referendum schon 2015 eingeführt, und voriges Jahr verlor das konservative Lager auch die letzte große Schlacht, als Abtreibung legalisiert wurde. Dass beim Referendum, das wie die Europawahlen vorigen Freitag stattfand, 82 Prozent für ein vereinfachtes Verfahren bei Ehescheidungen stimmten, war daher erwartbar.
Was geschieht als nächstes? Die irische Vereinigung? In der US-Serie „Star Trek“ war bereits 1990 davon die Rede: Der Androide Data sinniert in ferner Zukunft, dass die mexikanische Unabhängigkeit 1821, die irische Vereinigung 2024 und die (fiktive) Kenzie-Rebellion durch terroristische Gewalt zustande kamen. Die Episode durfte deshalb in Irland nicht ausgestrahlt werden. Das Datum für Irlands Vereinigung könnte ungefähr stimmen – doch sie wird nicht aufgrund bewaffneten Kampfes, sondern wegen des Brexit eintreffen.
Aber wollen die Iren in der Republik das überhaupt? Nordirland ist in einer anderen Galaxie, dort treffen viele der alten Vorurteile zu. Allerdings muss man „erzkatholisch“ durch „erzprotestantisch“ ersetzen. Die protestantischen Unionisten wollen unbedingt Teil des Vereinigten Königreichs bleiben, aber dessen Sozialgesetzgebung lehnen sie ab. Gleichgeschlechtliche Ehe kommt für sie nicht in Frage, und Abtreibung unter gar keinen Umständen.
Jedes Jahr flüchtet ein Drittel aller nordirischen Studenten deshalb aus dem Land. Es gibt noch einiges zu tun, bevor die gesamte Grüne Insel im 21. Jahrhundert angekommen ist.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen