Räumung: Rasanter Rausschmiss
Mieter im Münzviertel müssen von heute auf morgen ihre Wohnungen verlassen, weil ihr Haus angeblich einzustürzen droht.
24 Stunden Zeit, um die eigene Wohnung zu räumen – den Schreck der MieterInnen der Woltmanstraße 20 im Münzviertel kann man sich vorstellen. Am Mittwochvormittag waren Vertreter der Eigentümer und Baufachleute durch das Haus gestiefelt, um die Möglichkeiten einer Sanierung zu erörtern. Weil ihnen das alte Haus nicht mehr geheuer war, informierten sie das Bezirksamt Mitte, dessen Statiker feststellte: „Die Standsicherheit ist gefährdet.“ Das Haus drohe einzustürzen, die Mieter hätten so schnell wie möglich auszuziehen.
Am Donnerstagmittag – kurz vor Ablauf der Frist – stehen übernächtigte Bewohner zwischen Möbeln, Kartons und Umzugswagen auf der Straße. Sie haben in einer Nachtschicht ihre Wohnungen geräumt und können in Umsetzwohnungen ziehen. Wie es mit dem Haus weitergehen soll, ist unklar. „Jetzt wird geguckt, was gerettet werden kann“, sagt Bezirksamtssprecher Norman Cordes. Ein Abrissantrag sei bisher nicht gestellt worden und wäre auch nicht ohne Weiteres durchzusetzen. Denn das Haus aus dem Jahr 1866 steht unter Denkmalschutz. Ein Abriss käme nur in Frage, wenn die Erhaltung des Hauses unwirtschaftlich wäre.
Dass das Haus sanierungsbedürftig ist, erschließt sich auch dem unbedarften Betrachter. In den Decken und Wänden sind Risse, die an verschiedenen Stellen punktuell vergipst wurden, um sie nicht noch weiter aufklaffen zu lassen. Im Keller hängt die Ziegeldecke durch. Der Fußboden im Erdgeschoss ist schief. „Wenn man ein Skateboard auf den Boden stellt, rollt es runter“, sagt eine Mieterin. Am beeindruckendsten ist eine kleine Terrasse im Erdgeschoss, von der sich das Haus wegneigt. In den Spalt lassen sich zwei Hände stecken.
Das Münzviertel liegt südlich vom Hühnerposten, der die Bücherhallen beherbergt, in Hammerbrook.
In dem Quartier leben rund 1.150 BewohnerInnen auf 13 Hektar Fläche.
Entwicklungsgebiet: Der Senat betreibt im Münzviertel seit 2005 aktiv die Stadtteilentwicklung. Es ist das kleinste der Hamburger Entwicklungsgebiete.
Die Leitthemen der Entwicklung sind Kunst und Soziales, Wohnen und Bewohner sowie die Gestaltung des öffentlichen Raums. Dabei soll das Quartier als Wohnstandort verbessert werden, ohne dass die heutigen BewohnerInnen verdrängt werden.
Soziale Infrastruktur: Im Quartier gibt es Einrichtungen für Wohnungslose, psychisch Kranke, Behinderte und Flüchtlinge sowie eine Kontakt- und Beratungsstelle mit Drogenkonsumräumen.
Die Schäden sind nach Auskunft der Mieter schon länger offensichtlich. „Seit drei Jahren waren immer wieder Statiker und Architekten da“, sagt Mieterin Wiebke Cramer. Durch das Viertel sei auch das Gerücht gegeistert, das Haus werde abgerissen, wobei die Hausverwaltung noch vor acht Monaten versichert habe, die Mieter müssten sich keine Sorgen machen.
Für den Knall auf Fall verordneten Auszug sieht sich das Bezirksamt nicht als verantwortlich. „Es gibt keinen Bau-TÜV“, bedauert Cordes. Dass ein Gebäude marode sei, erfahre die Behörde nur, wenn Mieter oder Eigentümer das mitteilten. Für die Information der Mieter sei der Eigentümer zuständig. Die Sprecherin der Wohnungsverwaltung Wentzel Dr. beteuert: „Wir als Verwalter sind davon genauso überrascht worden wie die Mieter.“
Diese freuen sich zwar, dass ihnen die Verwaltung ruckzuck Umsetzwohnungen organisiert hat, sind zugleich aber skeptisch. „Es ist irgendwie fischig, dass auf einmal so viele Wohnungen frei sein sollen“, sagt Oliver Freitag, einer der Bewohner. Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg findet es erstaunlich, „dass das Amt nicht in der Lage ist, die Mieter zu informieren, der Vermieter aber binnen 24 Stunden Ersatzwohnungen anbieten kann“.
Die Mieter wies Chychla darauf hin, dass ihre Mietverträge weiter bestehen. Nur ein Abriss oder Einsturz des Hauses würde sie obsolet machen. Die Bewohner hätten einen Anspruch darauf, dass das Gebäude instand gesetzt wird und sie nach Abschluss der Arbeiten zurückkehren dürfen. Ohne das Einverständnis der Mieter dürften die Wohnungen darüber hinaus nicht modernisiert werden.
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