Radiohead in Berlin: Die Schönheit des latent Gestörten
Das Stadionrockklischee bedienen und es gleichzeitig unterlaufen: Der Band Radiohead gelang beides in der Wuhlheide in Berlin.
BERLIN taz | Eine erstaunliche Band. Eine Band, die im Grunde Clubmusik spielt: ein DJ, ein Laptop, fertig. Caribou lösen dieses einzelgängerische Prinzip in eine herkömmliche Bandstruktur auf; es gibt Schlagzeug, Bass, Gitarre, und selbst der Gesang des Masterminds Daniel Snaith verschwindet in der Menge. Caribou sind fantastisch. Und das stellten sie am Samstag open air in der Wuhlheide in Berlin eindrucksvoll unter Beweis.
Aber Moment, sollte es hier nicht um etwas anderes gehen, nämlich um das Konzert von Radiohead? Keine Sorge, geht es auch. Aber um sich Radiohead zu nähern, ist dieser Umweg wichtig. Denn er erklärt auch, wie die Band Radiohead funktioniert. Radiohead sind nämlich inzwischen eine große Maschine, ein Unternehmen, das sich wendig zeigen muss, weil es nicht erstarren will.
Und also immer wieder frischen Zulauf braucht, viel Input, um sich wieder neu zu erfinden. Daher spielen hier nicht irgendwelche zweitklassigen Epigonen im Vorprogramm. Nein, dass hier Caribou auftreten, die Psychedelik, Indierock und Disco so verbinden können wie vielleicht nur New Order in ihren guten Tagen (schon etwas her), das kommt nicht von ungefähr.
Radiohead ist nach einer kurzen Phase, in der Grunge englisch interpretiert wurde, dazu übergegangen, das Stadionrockklischee gleichzeitig zu bedienen wie zu unterlaufen. Vielleicht ist das auch das Problem dieser Band: Sie verschwindet und bleibt doch. Sie zieht von einer großen zu einer kleinen Plattenfirma, sie veröffentlicht plötzlich hauptsächlich im Internet, sie wendet sich vom Rock ab und nervöser elektronischer Musik zu, sie schmeißt die Refrains raus und bleibt doch eingängig und wiedererkennbar.
Elegien angesichts einer bösen, kalten Welt
Am Samstagabend war all das zu hören, und all das hat funktioniert und war in einem emphatischen Sinn schön. Thom Yorke, ein erstaunlich kleiner Mann, der sich inzwischen für einen ungepflegten Bart und Pferdeschwanz entschieden hat, womit er ein wenig so aussieht wie der Typ, der immer noch in dieser Rockkneipe in der Vorstadt arbeitet, hatte sichtbar Spaß, nämlich an allem. An den Grooves, den treibenden Beats, aber auch an den Balladen, den Tränenziehern, den Elegien angesichts einer bösen, kalten Welt, wie auch an den Rocktrümmern im Programm.
Seine Mitstreiter – allesamt noch in der Urformation seit über zwanzig Jahren plus einem Zusatzmusiker – machten mit. Was erstaunlich ist für eine Band, die sich mal als Rockband verstanden hat. Viel freie Zeit plötzlich für die Gitarristen, und Jonny Greenwood machte das Beste draus: Keyboards, ein Transistorradio (im überwältigenden „The National Anthem“ natürlich), ein drittes Schlagzeug – es gab nichts, was er nicht spielte.
Der Bassist, eigentlich der heimliche Star des Abends, denn so basstragend klangen Radiohead wohl noch nie, verkrümelte sich lieber auf Höhe des Schlagzeugs. Sein Name: Colin Greenwood. Muss man auch erst mal wissen, denn wer außer den echten Fans weiß schon die Namen der anderen?
Egal ob Klavier oder Gitarre
Man kennt eben hauptsächlich Yorke. Der vom ersten Stück an klarmacht, warum das so ist: Er ist nicht nur ein herausragender Sänger mit einzigartiger Stimme. Sondern auch ein guter Musiker, egal ob ein Klavier für ihn herangeschoben wird oder er doch mal zur Gitarre greift.
Radiohead spielten viel Neues, brachten in den richtigen Momenten alte Hits, haben insgesamt aber vielleicht etwas zu lange gespielt. Die Luft war raus und die tibetische Fahne am Schluss hätte auch nicht sein müssen. Tatsächlich hat man irgendwann vergessen können, wer die Vorband überhaupt war. Radiohead haben nämlich Eindruck gemacht.
Und wie das ging? Sphärische Sounds, Mondgesang, die Schönheit des latent Gestörten, die Tragik, die in der Unzufriedenheit liegt. Das wird auch nicht alt. Jedenfalls nicht, solange die Maschine gefüttert wird. Mit dem richtigen Stoff.
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