Radfahrer nach Polizeikontrolle schwer verletzt: Kein Licht, vier Platzwunden
Ein Radfahrer, der angeblich ohne Licht unterwegs ist, wird im Zuge einer Polizeikontrolle in Berlin-Friedrichshain schwer verletzt. Vor drei Jahren wurde er schon mal von der Polizei für einen Fahrraddieb gehalten und blutig geschlagen.
Vier Platzwunden am Kopf, davon eine an der linken Augenbraue. Deutlich sichtbare Prellungen an beiden Handgelenken. Über und über mit Blut bekleckste Kleidungsstücke. Fotos zeigen Blutspritzer an Wänden und Boden im Treppenhaus sowie in der Wohnung. Das ist das Ergebnis eines Polizeieinsatzes gegen Andrew P. Der Anlass: eine Fahrradkontrolle.
Der Polizeibericht zu dem Vorfall trägt den Titel: "Polizisten leicht verletzt". Darunter heißt es, zwei Beamten sei am Samstag gegen 23.30 Uhr an der Rigaer Straße in Friedrichshain ein Radfahrer aufgefallen, der ohne Beleuchtung auf dem Gehweg unterwegs gewesen sei. Als die Polizisten den Mann ansprachen, sei dieser in einen Hauseingang geflüchtet und habe einem Beamten unvermittelt ins Gesicht geschlagen. In der Folge habe der Mann sich heftig gewehrt, um sich geschlagen und mehrfach versucht zu flüchten. Der Einsatz von Pfefferspray sei erfolglos geblieben. Erst mit Unterstützung weiterer Kollegen habe der Mann überwältigt werden können. Zur Blutentnahme und zur Behandlung "einer Platzwunde" sei er ins Krankenhaus gebracht worden. Er wurde wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung angezeigt. Zwei Beamte seien leicht verletzt worden, hätten zudem "durch das Pfefferspray Reizungen der Atemwege" erlitten und vorzeitig den Dienst beendet.
Andrew P. reagiert fassungslos auf diese Darstellung. Der 39-jährige Brite war nach eigenen Angaben in jener Nacht nach Hause geradelt. Dort angekommen, habe neben ihm ein Polizeifahrzeug gehalten. Die Insassen hätten "Fahrradkontrolle" gerufen. Aufgrund früherer schlechter Erfahrungen sei er auf der ansonsten menschenleeren Straße in Panik geraten und ins Haus geflüchtet, berichtet P. "Dann ging alles sehr schnell", erzählt der auch zwei Tage nach dem Vorfall noch sichtlich geschockte Informatiker. Er habe einen Schlagstock auf den Kopf bekommen und sein Blut an die Tür spritzen sehen. Er selbst habe nicht geschlagen, beteuert der seit zehn Jahren in Berlin lebende Brite immer wieder: "Ich bin eines der Weicheier der Welt." Es klingt überzeugend.
Irgendwie sei es ihm gelungen, zu seiner Wohnung im Hinterhaus zu kommen. Dort hätten ihn die Polizisten endgültig zu Boden geworfen und gefesselt. Ein Beamter habe sich auf seinen Rücken gekniet und ihm einen Schlagstock an die Kehle gedrückt, erzählt P. Da er beständig um Hilfe gerufen habe, sei ein Nachbar hinzugeeilt. Aber auch der sei von der Polizei nur bedroht worden.
Laut dem Aufnahmeprotokoll des Klinikums im Friedrichshain wurden an Andrew P.s Kopf vier 1,5 bis 2 Zentimeter lange "Schnittwunden mit klaffenden Wundrändern" festgestellt, die genäht werden mussten. Der Ärmel einer weißen Jacke, die in P.s Wohnung an der Garderobe hing, ist seit dem Polizeieinsatz von oben bis unten mit Blut befleckt.
Was der ursprüngliche Anlass für die Fahrradkontrolle gewesen sein soll, hat P. bis heute offiziell nicht erfahren. Warum er jedoch so panisch reagierte, kann er gut begründen. Vor drei Jahren war er in eine ganz ähnliche Situation geraten - mit traumatischen Folgen. Damals hatte er nachts ein Fahrrad nach Hause geschoben, ohne Vorderrad, weil das geklaut worden war. Zwei Zivilpolizisten hielten ihn deshalb fälschlicherweise für einen Fahrraddieb und versuchten ihn festzuhalten. Auch damals eskalierte die Situation.
Aus den Unterlagen der später folgenden Prozesse geht hervor, dass die Beamten zwei Faustschläge und Pfeffersprayeinsatz gegen Andrew P. zugaben. Dies sei nötig gewesen, um den sich Wehrenden niederzustrecken. Fotos von damals zeigen den Briten mit schweren Prellungen im Gesicht. Die Verletzungen sind zudem durch ein Krankenhausprotokoll belegt. Ein Ärztin habe sich verwundert gezeigt, dass jemand wegen eines Fahrraddiebstahles so zugerichtet werde, erzählt P.
Dabei entpuppte sich der Diebstahlsvorwurf schnell als Irrtum. Auch ein Verfahren wegen Widerstands gegen Andrew P. wurde vom Gericht eingestellt. Die wegen Körperverletzung angeklagten Beamten wurden ebenso wenig belangt. Andrew P. aber musste zahlen. In einem weiteren Prozess wurde er zu 187 Euro Schadenersatz verurteilt. Das Land Berlin hatte ihn verklagt, vor allem weil er Jacke, Hose und Schuhe eines Zivilpolizisten beschädigt hatte - nicht etwa durch grobe Gegenwehr, sondern weil das Blut aus seinen Wunden auf die Klamotten des Beamten getropft war.
Auch bei dem jetzigen Vorfall galt die größte Sorge der Beamten dem Blut des Geschlagenen. Nachdem er in der Klinik versorgt war, erzählt Andrew P., habe ihn ein Polizist gefragt: "Bist du HIV?"
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