Radeln I: Am Rad drehen
Die Zahl der Radler steigt, die Infrastruktur für sie wird aber kaum ausgebaut. Der Senat kennt das Problem: Investieren und Radfahrer schützen will er trotzdem nicht.
Sie tun es – allein, zu zweit, in Rudeln, in Massen: Die Berliner sind begeisterte Radfahrer geworden. Nicht nur bei Sommerwetter legen immer mehr Menschen ihre Wege auf dem Fahrrad zurück. Die Vorteile für Mobilität, Gesundheit und Geldbeutel liegen auf der Hand. Was allerdings auch immer deutlicher wird: Die Infrastruktur für Radler hält bei dieser Entwicklung längst nicht mehr mit. Gerade im Vergleich mit anderen Radfahr-Metropolen treten die Defizite Berlins zutage: die überfüllten und oft genug maroden Radwege, die überquellenden, schlecht ausgestatteten Abstellanlagen an S- und U-Bahnhöfen, die Ampelschaltungen, die für Radler „Rote Welle“ bedeuten.
Wer Städte wie Kopenhagen oder Amsterdam besucht, muss feststellen, dass Radverkehrsanlagen bei entsprechendem politischen Willen in ganz andere Dimensionen vorstoßen können. Und ein Abstecher nach Paris zeigt: Wenn Mieträder nicht nur punktuell, sondern flächendeckend angeboten werden, entwickeln sie sich zu einem beliebten Angebot. Davon können die Berliner nur träumen.
Zahl der Unfälle reduzieren
Dabei haben genügend Beteiligte in Politik, Gesellschaft und Verwaltung die Zeichen der Zeit erkannt. Ein erstes Ergebnis war die Radverkehrsstrategie, die der Senat 2004 beschloss. Daran waren außer Senat, Bezirken und Verkehrsbetrieben auch Wissenschaftler und die Radfahrlobby beteiligt. Neben einer Steigerung des Radverkehrsanteils von 10 auf 15 Prozent bis 2010 postulierte die Strategie eine bessere Kombinierbarkeit von Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV), die Senkung der Unfallzahlen und eine Steigerung der Haushaltsmittel für den Radverkehr auf 5 Euro pro Einwohner und Jahr bis 2015.
Was ist eigentlich aus den Zielen der Radverkehrsstrategie von 2004 geworden? Von Senatsseite gibt es dazu keine umfassende Evaluierung. Das wollten die Grünen nicht länger hinnehmen: Ihr verkehrspolitischer Sprecher Stefan Gelbhaar sandte am 31. Mai eine parlamentarische Kleine Anfrage an die Senatsverwaltung für Verkehr und ließ keine Frage ungestellt – von der Entwicklung des Radverkehrsanteils über die Ausschilderung des Routennetzes bis hin zur Bilanz bei Stellplätzen vor Bahnhöfen und Geschäften.
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Die Antwort von Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) erreichte Gelbhaar am 16. Juli und beschränkte sich auf drei Sätze. Die „Anzahl und Detailliertheit“ der 25 Einzelfragen, so Gaebler, übersteige den „üblichen Umfang“ und überfordere die Verwaltung. „Von einer Beantwortung wird daher abgesehen und es wird um Reduzierung gebeten.“
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Das wollte Gelbhaar nicht auf sich sitzen lassen. In einem Brief an Verkehrssenator Michael Müller (SPD) bezeichnete er die Nicht-Antwort als „Missachtung des Auskunfts- und Fragerechts der Abgeordneten“ – und als „Chuzpe“, dafür sechs Wochen in Anspruch zu nehmen. Die Geschäftsordnung des Abgordnetenhauses, so Gelbhaar, beschränke die Fragemenge übrigens nicht. Der Grüne beantragte Akteneinsicht und bat um Stellungnahme bis zum 25. Juli. Diese Frist ließ der Senator schon mal verstreichen.
Während die Zunahme des Verkehrsanteils locker erreicht wurde, ist das Land von der geforderten finanziellen Ausstattung weit entfernt. Für 2012 sind 5,5 Millionen Euro eingeplant: für die Anlage neuer und die Sanierung bestehender Radverkehrsanlagen. Selbst diese Summe stand bei den Haushaltsberatungen auf der Kippe: „Der CDU-SPD-Senat wollte die Mittel für die Sanierung von zwei Millionen auf eine kürzen“, erinnert der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion, Harald Wolf. Daran habe die Koalition aber nach Widerstand im Parlament nicht festgehalten – weil, so Wolf, „eine Kürzung bei Radwegen nicht gut ankommt. Zumal wenn man noch Abermillionen für eine überflüssige Autobahn ausgeben will“. Wolf spielt auf die Verlängerung der A 100 an.
Trotzdem: 5,5 Millionen, das macht pro BerlinerIn knapp 1,60 Euro. Für die Steigerung auf 5 Euro müssten schon 17,5 Millionen Euro jährlich investiert werden. „Diese Zielmarge stellt der Senat mit seiner Politik klar infrage“, beklagt Stefan Gelbhaar, Verkehrsexperte der Grünen-Fraktion. Er fordert eine „andere Denke in der Verkehrsplanung: Der Fokus muss weg von der autozentrierten Verkehrspolitik.“ Dazu müsse man deutlich mehr Geld in die Hand nehmen. Und Wolf meint: Um dem größeren Anteil des Fahrradverkehrs gerecht zu werden, „müssen auch die Mittel überdurchschnittlich zum Landeshaushalt steigen“.
Dabei ist noch nicht einmal klar, ob sich Rot-Schwarz eine Aktualisierung der Radverkehrsstrategie leisten will. Einen neuen Entwurf hat die Verkehrsverwaltung bereits ausgearbeitet. Aber Finanz- und Innensenator wollen die Beschlussvorlage für den Senat offenbar nicht mittragen: zu teuer. Nachfragen zu diesem Konflikt beantworten die Zuständigen nur schmallippig: „Wir gehen davon aus, dass wir eine Verständigung herbeiführen können“, lässt sich Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) zitieren.
Besser wäre es. Denn die neue Radverkehrsstrategie soll nicht nur vorhandene Konzepte zum Ausbau der Infrastruktur fortschreiben, erklärt Burkhard Horn, als Referatsleiter in der Verkehrsverwaltung für die Rad-Strategie zuständig. „Es gibt neue Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, etwa neue Nutzergruppen und technische Veränderungen.“ So stiegen auch immer mehr ältere Menschen dank Pedelec-Technik auf den Sattel. „Ein solcher Zuwachs stellt neue Anforderungen an die Infrastruktur“, sagt Horn. „Man könnte sagen, da bestraft uns ein wenig der eigene Erfolg.“
Die Landesvorsitzende des Fahrradverbands ADFC, Eva Maria Scheel, hat noch Hoffnung, dass das Thema die angemessene politische Beachtung findet. Die Voraussetzungen seien ja da: „Seit den 90er Jahren hat sich bei der Radverkehrsplanung einiges geändert. Inzwischen gibt es in den Verwaltungen Personal, das sich hauptsächlich dem Radverkehr widmen kann.“ Aber Scheel weiß auch: Verglichen mit anderen Infrastrukturmaßnahmen handelt es sich bei den angestebten 5 Euro um „Peanuts“.
Auch wenn das Geld ein wenig reichlicher fließen sollte – reicht das für Berlin, um die Augenhöhe mit den europäischen Spitzenreitern in Sachen Radverkehr zu heben? Opposition und Fahrradlobby sind sich jedenfalls einig: Die skandinavischen und niederländischen Städte müssen ein Vorbild sein. Gerade die Dänen machen hier so gut wie alles richtig: „Kopenhagen ist derzeit das Beispiel schlechthin, wie man den Radverkehr fördern und attraktiv machen kann“, findet Scheel. Die dortigen Behörden investierten ein Vielfaches der Berliner Mittel in Infrastruktur und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Verkehrsverwaltung sieht sich auf dem richtigen Weg: „Wir betreiben im Rahmen des Möglichen Benchmarking“, sagt Planer Horn. Deutschlandweit und international tausche man sich in Städtenetzwerken aus, dabei schneide Berlin nicht schlecht ab: „Im Ausland betrachtet man unsere Fortschritte mit Neugier“, so Horn. Delegationen aus anderen Metropolen an kämen die Spree, um sich über die Radverkehrspolitik zu informieren.
Eines zeigt der Blick nach Nord- und Westeuropa ganz sicher: Ohne an den Privilegien der Autofahrer zu kratzen, geht es nicht. Das fordert auch die Berliner Opposition: „Wenn man mehr Radverkehr haben möchte, muss man die Kapazitäten für die Radfahrerinnen und Radfahrer ausbauen“, sagt Linken-Verkehrsexperte Wolf. „Und wenn eine Fahrspur zugunsten eines Fahrradstreifens entfällt, wird das auch zulasten des Autoverkehrs gehen.“ Auch Ampelschaltungen, die auf das Tempo von Radlern ausgelegt sind, hält Wolf für denkbar. Der Grüne Gelbhaar meint: „Es gibt einen Nutzungskonflikt. Den darf man nicht einseitig zugunsten des Autos auflösen, wie es derzeit geschieht.“
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