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Archiv-Artikel

RUSSLAND: DIE WÄHLER HALTEN STAGNATION FÜR STABILITÄT Übergangspräsident Putin

Präsident Putin hat einen eindrucksvollen Sieg errungen. Noch beeindruckender indes wäre ein Sieg ohne Schiebung und Beschneidung demokratischer Rechte gewesen. Dazu fehlt der Machtzentrale aber das Selbstvertrauen, der Kreml ist sich seiner Legitimität nicht sicher. Das ist einer der Gründe, warum an keinem Projekt konsequenter gearbeitet wird als am Abbau demokratischer Freiheiten. Paradox: Das Misstrauen im Kreml gegenüber dem willfährigen Volk wächst mit jedem weiteren Prozent für Putin.

Ein vom Umbruch ermattetes Volk hat seine Interessen in toto an den Kremlherrn delegiert und ihn mit einem Freibrief versehen: so zu walten, wie er es für richtig hält, ohne den Bürger zu konsultieren. Solange die Russen lähmende Stagnation für Stabilität halten, droht Putin keine Gefahr. Doch wird der Schwindel offenbar, der Präsident mit einer echten Krisensituation konfrontiert – was dann? Bislang hat Putin, vom hohen Rohölpreis verwöhnt, nur verwalten müssen. Mutige Entscheidungen hat er vermieden oder hinausgeschoben. Dies wird er auch weiterhin tun, denn ein Reformer ist Putin nicht. Schließlich kommt auch niemand auf die Idee, den Geheimdienst KGB zum Nukleus einer entstehenden Bürgergesellschaft zu erklären. Putin erfüllt eine einfache Mission: Er ist der Oberaufseher in einem Nachtwächterstaat. Er taucht ab, sobald es brenzlig wird. Putin ist ein Übergangsphänomen, der Zufall hat ihn auf den Thron geweht, die Geschichte wird ihn bestenfalls mit einer Fußnote bedenken. Bleibt die Frage, was auf ihn folgt.

Nach vier Jahren Präsidentschaft sind die Fundamente einer offeneren Gesellschaft erschüttert. Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Korruption und das Recht des Stärkeren sind die ethischen Säulen des Landes. Gepaart mit einer gesellschaftlich akzeptierten Heuchelei, wenn diese dem eigenen Interesse dient. Dafür muss Wladimir Putin geradestehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland nach ihm den Weg zurück zur Demokratie findet. Eher folgt ein zweiter Interimspräsident, der das Erbe des Vorgängers zu vollenden versucht: vom Semiautoritarismus zum vollwertigen Autoritarismus. KLAUS-HELGE DONATH