RUANDA: UN-TRIBUNAL BETONT ZU RECHT VERANTWORTUNG DER MEDIEN : Völkermord durch Meinungsfreiheit
Vor dem UN-Tribunal zum Völkermord in Ruanda sind drei wegweisende Urteile gefallen. UN-Chefankläger Hassan Jallow sprach von einem „Präzedenzfall“, nachdem die drei führenden Verantwortlichen von Hetzmedien in der Zeit vor und während des Genozids in Ruanda zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. In einer Zeit des ständig wachsenden Einflusses von Medien auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Politik sind diese Urteile ein Warnzeichen, das an die Folgen medialen Machtmissbrauchs erinnert.
Mit seiner ständigen Behauptung, dass Ruandas Hutu kurz vor der Vernichtung und Versklavung durch angreifende Tutsi stünden und sich gegen sie wehren müssten, bereitete 1994 Ruandas damals führender Rundfunksender „Mille Collines“ den Boden, auf dem einfache Hutu die spätere Beteiligung am organisierten Morden als völlig normalen Vorgang ansehen konnten – so banal und zugleich so wichtig wie etwa heute in Deutschland der Abschluss einer privaten Zusatzrentenversicherung. Selten ist so deutlich geworden, wie bedeutend Medien bei der Formierung von Rechtsbewusstsein und moralischem Gewissen sind.
Pikanterweise sind die UN-Urteile wenige Tage vor einem UN-Gipfel in Genf zur weltweiten Informationsgesellschaft gefallen. Werden die Fragen, die in der Verhandlung von Arusha auftauchten, bei den Genfer Beratungen über die „digitale Kluft“ und dem Recht auf Informationsfreiheit eine Rolle spielen? Ruandas Hetzer konnten nur so wirksam agieren, weil zuvor das staatliche Medienmonopol gefallen war, offiziell Meinungsfreiheit herrschte und eine im damaligen Vergleich modernste Rundfunktechnologie eingesetzt werden konnte. Die Errungenschaften der Informationsgesellschaft dienten dem Völkermord. Beim Prozess in Arusha berief sich nun die Verteidigung auf das Recht auf Meinungsfreiheit und sagte, Medienunternehmen seien nicht dafür verantwortlich, wie Hörer und Leser die ihnen dargebotenen Beiträge verstünden. Das ist ein Argument, dessen vermeintlich fortschrittlichen Gehalt auch in Genf vermutlich niemand hinterfragen wird.
Das UN-Tribunal ist dieser Argumentation glücklicherweise nicht gefolgt. Medien haben Verantwortung, weil sie Macht ausüben. Wenn sie ihre Konsumenten nicht beeinflussen könnten, wäre ihr Betrieb wesentlich unattraktiver. Aber noch gilt die Vorbereitung von Kriegsverbrechen und Völkermord in den Medien als zu unwichtig, als dass sich internationale Gipfeltreffen explizit damit beschäftigen würden. Nicht einmal hinterher.
DOMINIC JOHNSON