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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Ein Australier vertreibt hundert Sorgen

Down under ist leider auch nicht mehr das, was es einmal war. Mal wieder schuld: die Globalisierung

„Eine Freude vertreibt hundert Sorgen.“ So kann man natürlich auch Danke für ein Bier sagen. Aber der das spricht, ist kein dem Fernsehprogramm und seiner Frau entronnener Berliner Rentner, sondern ein Mann, der vor kurzem noch jung war. Er sitzt am Tresen eine Kneipe, die hundert Meter von meiner Wohnung entfernt liegt. Was nicht für die Lage meiner Wohnung spricht.

Die Statur des Mannes verrät, dass er früher einmal viel Sport gemacht, und eine beginnende Verfettung, dass er in letzter Zeit viel Bier getrunken hat. Seine Aussprache verrät: Er ist nicht von hier. Ein Australier.

Ich war noch nie in Australien. Meine Vorstellung speist sich daher aus den handelsüblichen Klischees: ein Land mit viel Raum und wenig Leuten, die alle von englischen Sträflingen abstammen. Sie verkaufen Wein, trinken selbst lieber Bier und neigen von Charakter und Statur zur Grobschlächtigkeit. Ihr Humor ist im besten Falle derb, im Normalfall zotig. Seit es Doping gibt, haben die Australier gute Schwimmer. Der Sport, der ihrer Mentalität am nächsten ist, bleibt jedoch Rugby. Aus Deutschland nach Australien reisen Männer, die rote Felsen fotografieren wollen, und Akademikerinnen, die mit 35 endlich richtige Männer kennen lernen wollen.

Wer solche Vorurteile hegt, wird oft überrascht, wenn er Menschen wirklich trifft. Dann stellt sich nämlich heraus: Das Vorurteil ist gar keins. Sondern eine ziemlich zutreffende Beschreibung der Realität.

„Nein, das stimmt nicht“, erklärt der Australier, der übrigens Greg heißt: „Nicht mehr. Das war das alte Australien.“ Vielleicht hat er auch „das gute, alte Australien“ gesagt. Auf jeden Fall seufzt er jetzt und meint rätselhafterweise: „Der Apfel fällt doch weit vom Stamm.“

Australien war klasse – früher, erinnert sich Greg: Und am besten war es, wenn man studierte. Seine älteren Brüder hätten kaum ein Buch angefasst, an der Uni trieben sie Sport und Studentenulk, und wer von darüber hinaus gehenden Ambitionen gequält wurde, wanderte in die USA aus. Wer jedoch als Amerikaner oder Europäer an eine australische Universität kam, der wollte – wenn er nicht gerade ein auf Aborigenes spezialisierter Ethnologe war – vor allem seinen Spaß haben. Greg hebt den Zeigefinger, aber nicht, um ein weiteres Getränk zu bestellen, sondern doziert wichtig: „Wein, Weib und Gesang“.

Mein neuer Bekannter scheint mit deutschem Kulturgut unterschiedlicher Qualität bestens vertraut. Was zur Hölle war bloß mit Australien passiert? Die Vertreibung aus dem Paradies begann, erzählt Greg, als Anfang der 90er nicht mehr nur Ethnologen und Spaßvögel kamen. Sondern Streber. Australien öffnete seine Universitäten für Malaien, Chinesen, Indonesier und andere Asiaten.

Diese Leute hatten wenig Sinn für Sport und Studentenulk. Das Schlimmste war, meint Greg: „Wenn man kein widerlicher Faschist ist, kann man diese Streber nicht einmal verachten: Für die ist das Studium die Chance, ihre ganze Familie aus der Armut zu holen.“

Sie bezogen ihr Zimmer im Studentenwohnheim und verließen es nur zu Vorlesungen und Seminaren. Trotzdem veränderten sie erst die Unis und dann das ganze Land. Denn wer mithalten wollte, asiatisierte: Plötzlich gab es überall Lerngruppen und Nichtraucher. Und keinen Spaß mehr. „Wohl dem, der keine Heimat hat / Er sieht sie noch im Traume“, klagt Greg: „Mein Australien gibt es nicht mehr. Ich hatte die Wahl: entweder eine Farm im Busch kaufen oder ganz weit weg.“ So kam er nach Deutschland. Hier wollte er nicht zu den Losern gehören – zum ersten Mal in seinem Leben hat er deshalb richtig gebüffelt: „Ich habe Deutsch gelernt im neuen australischen Stil: mit Büchern, Büchern, Büchern.“ – „Das wirkt eher komisch als gebildet“, merke ich an. „Das haben wir in Australien auch gedacht, als die Chinesen kamen“, meint er.

So reden wir, trinken weiter und bauen sein Selbstmitleid zu einer gemeinsamen Depression aus. Bei der letzten Runde stoßen wir noch einmal an:

„Scheiß auf die Globalisierung“, sage ich. Und er: „Kein schöner Land in dieser Zeit. Prost.“

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MONTAG: Peter Unfried über CHARTS