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Der Kommentar

R.I.P. Dorsch und Hering Die Fisch-Politik stinkt

Küstenfischer und Politik rotten Dorsch und Hering in der Ostsee aus – bewusst und in voller Absicht. Schluss damit!

Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Tatsächlich zeigt das zweitäge Ringen der 27 EU-Länder, dass sich ab einem bestimmten Punkt das Ökologische und das Soziale nicht mehr miteinander versöhnen lassen. In der Ostsee ist dieser Punkt offensichtlich erreicht.“ Süddeutsche Zeitung vom 13. Oktober

Die politischen Fakten: Laut EU-Beschluss aus der ersten Oktoberwoche gilt 2022 in der Ostsee ein Fangverbot für Dorsch und faktisch auch für Hering. Die Schleppnetzfischerei auf Hering ist komplett verboten.

Die ökologischen Fakten: Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee ist unter seine Reproduktionsgrenze abgesunken. Für den Hering steht ähnliches kurz bevor. Beide Bestände sind jetzt zu klein, um sich zu reproduzieren.

Die Ursachen für den Rückgang der Bestände sind lange bekannt. Sie sind wissenschaftlich valide und von einer europaweiten, eng miteinander vernetzten und weltweit anerkannten Meeres- und Fischereiwissenschaftlichen Expertise belegt. Als da sind: Die Überfischung, die Überdüngung der Ostsee durch ungebremste Dünger- Einträge aus der industriellen Landwirtschaft, die invasiven Arten, hier etwa ein aggressiver Laichfresser namens Rippenqualle, und die durch den Klimawandel ausgelösten Steigerungen der Wassertemperaturen in der Ostsee führen zu einem „Missmatch“ in der Futterkette der Fische und damit zum Verhungern der Jungtiere. Die von den Fischern behauptete zu hohe Entnahme aus den Beständen durch Kormorane und Robben spielt beim Absinken der Bestände keine Rolle.

Freie Hand zum Überfischen

Die Fischerei und die Politik von Küsten-Bundesländern und Bundesregierung haben diese Probleme und ihre Bearbeitung mit dem sozialen Argument der Notwendigkeit des Erhaltes der kleinen und großen Küstenfischerei seit mehr als 20 Jahre systematisch hintertrieben. Sie haben die jährlich von Wissenschaftlern vorgeschlagenen nachhaltigen Quoten und andere Schutzmaßnahmen für die Bestände aufgeweicht, gelockert oder gleich ganz ignoriert. Sie haben den Fischern damit freie Hand zum Überfischen eingeräumt. Parallel dazu wurden ihnen großzügige Stilllegeprämien dafür gezahlt, dass sie für eine bestimmte Anzahl von Tagen auf das Fischen verzichteten. Zusätzlich gab es Abwrackprämien für das Ausmustern von Schiffen, die, genau hingesehen, von den Fischern gar nicht in Anspruch genommen wurden.

Die Fischer haben trotz der Beschränkungen weiter gefischt. Sie verkaufen ihren Fang, touristenattraktiv und augenzwinkernd, am Fiskus vorbei über die Kaikante. Eine wirksame Kontrolle des Fischerei-Geschehens hat es nie gegeben und das trotz einer auf neuesten technischen Stand aufgerüsteten Fischereiaufsicht. Stattdessen wurde jedes Jahr ein mediengestütztes Geschrei über die Brüsseler Bürokraten und deren angeblich mutwillige Zerstörung des Berufsstandes der Fischer inszeniert.

Das Ende der Küstenfischerei haben Politik und Fischer gemeinsam in voller Kenntnis der von ihnen betriebenen Zerstörung der Bestände herbeigeführt – als lukratives Geschäft für die Fischer. Keiner der Fischer, die schon aufgegeben haben, ist je bei Hartz IV gelandet. Im Gegenteil.

Nachhaltige Bewirtschaftung wird abgelehnt

Dabei gibt es seit über 20 Jahren ein Konzept für eine ökologische, nachhaltige Bewirtschaftung der Ostsee-Bestände. Unter dem Leitgedanken „Von der Jagd zum Ranching“ beschreibt es die Abwendung von der technisch immer weiter aufgerüsteten Jagd nach Fisch hin zu seiner intelligenten Hege, seiner Bewirtschaftung in weiter wild lebenden Beständen und ihrer Biotope in der offenen See“. In Kooperation mit der Wissenschaft, auf der Grundlage ihrer Daten über den Zustand der Bestände und ihrer Biotope sollte eine langfristige Steuerung der Bestände aufgebaut werden. Dazu sollten in landgestützten Aufzuchtanlagen Fingerlinge produziert werden, also jugendliche Fische von Fingergröße, die dann nach festgelegten Regeln, in die Bestände eingebracht werden sollten.

Die technischen Voraussetzungen für ein Dorsch-Ranching und die Kooperation mit der Wissenschaft waren funktionsfähig. Es gab ein Grundstück im Rostocker Hafen, auf dem die Aufzuchtanlage für die Fingerlinge gebaut werden sollte. Es gab Zusagen in Höhe von mehreren zehn Millionen Euro aus Brüssel für diese Pilotanlage. Es gab erste Überlegungen in den zuständigen Ministerien in Schwerin und Kiel zur rechtlichen Absicherung dieses Ansatzes. So sollten die für das Dorschleben relevanten Bereiche der Ostsee in Planquadrate aufgeteilt an die Fischer zur Nutzung verpachtet werden. Allerdings unter der Auflage von verbindlichen und gemeinsam mit der Wissenschaft festgelegten Regeln und Pflichten. Zu diesen Pflichten sollte etwa die Biotopflege, die Sicherung der Brutplätze, die Einrichtung von Schutzgebieten, die völlige Transparenz aller Aktivitäten der Schiffe auf See und die gemeinsame Festlegung aller eingesetzten fischerereilichen Techniken gehören.

Die Genossenschaften und die Fischer selbst sollten eine auf einer umfassenden wissenschaftlichen Ausbildung fußende, ökologische und nachhaltige Fischerei in der Ostsee aufbauen. In Japan, Norwegen und den USA werden ähnliche Ansätze verfolgt. Denn langsam begreifen immer mehr Fischer und politisch Zuständige, dass die Probleme der Ostsee die Probleme aller Meere der Welt sind. Nicht so die Ostseefischer. Landwirtschaftsminister Backhaus (SPD) hatte dieses Ranching-Konzept lange unterstützt. Als aber die Fischer diesen Ansatz kategorisch ablehnten und ihn persönlich für Ihr angebliches Ende verantwortlich machten, gab er auf und heulte mit den Wölfen.

Nur sofortige radikale Maßnahmen können die Arten retten

Das ist das Grundsätzliche an diesem Vorgang über die Ostsee hinaus: Es scheint unmöglich zu sein, Pfade, die zerstörerisch sind, und soziale Rollen, die sich überlebt haben, zum Wohle der eigenen Zukunft neu zu definieren als bewussten Schritt nach vorn, weil das Unsicherheiten mit sich bringt und nicht automatisch ein einfacheres oder bequemeres Leben verspricht.

Das endgültige Verschwinden von Dorsch und Hering aus der Ostsee ist damit noch nicht besiegelt. Noch sind radikale Bestandsicherungs-Maßnahmen mit anschließendem Dorsch-Ranching vorstellbar. Allerdings muss sich die Politik dafür dazu aufraffen, die Fischer und andere Lobbyisten einer schon lange nicht mehr zukunftsfähigen handwerklichen Fischerei und deren egoistisches Geschrei zu ignorieren, alle Übergangssubventionen für sie streichen und so eine neue Fischerei auf den Weg bringen.

Der Aufbau einer zukunftsfähigen Fischereiwirtschaft, das Bewirtschaften wildlebender Bestände in der offenen See ist noch machbar, wenn es staatgestützt und mit großen Partnern aus der Ernährungswirtschaft durchgeführt wird. Es ist machbar mit Partnern, die begreifen, dass sie in den Erhalt der Bestände in allen Weltmeeren in großem Stil investieren müssen, wenn sie weiter vom Fisch als zentralem Teil der Menschenernährung profitieren wollen.

UDO KNAPP ist Politologe. Als stellvertretender Landrat von Rügen wollte er in den 90ern Deutschlands Nordosten zu einer Ökoregion machen, in der Mensch und Natur verträglich miteinander leben. Für taz FUTURZWEI schreibt er regelmäßig einen Kommentar.