RALF LEONHARD ÜBER DIE GIFTSCHLAMMKATASTROPHE IN UNGARN : Leichtfertige Regierung
Viktor Orbán, der mächtigste Ministerpräsident, den Ungarn je hatte, ist begnadeter Populist. Wie sein Vorbild Wladimir Putin zeigt er sich dem Volk gerne als gütiger Vater. Bei einem Besuch in dem von giftigem Rotschlamm verwüsteten Bezirk in Westungarn klopfte er den Helfern auf die Schulter und sprach den Opfern, die alles verloren haben, Trost zu. Die Verantwortung für die Katastrophe suchte er allein bei den Betreibern des Aluwerks.
Die Frage, ob die Regierung in über 20 Jahren ihrer Kontrollfunktion nachgekommen ist, wurde bisher genauso wenig gestellt wie die nach dem weiteren Umgang mit gefährlichen Industriebetrieben. An mehreren Standorten in Ungarn gibt es Depots von Rotschlamm, die ähnlich schlecht gesichert sein dürften wie das von Kolontár. Entweder haben die Regierungen allesamt nicht gewusst, wie gefährlich die bei der Aluminiumgewinnung anfallenden Rückstände sind, dann waren sie inkompetent. Oder sie haben es verschwiegen, dann waren sie grob fahrlässig. Allein auf die Sozialisten herausreden kann sich Orbán nicht. Denn er hat 1998 bis 2002 schon einmal regiert.
Warum musste die Umwelt-NGO Greenpeace die Initiative ergreifen, den giftigen Schlamm zu analysieren? Das wäre Aufgabe der Regierung gewesen. Auch der stolze Verzicht auf erfahrene Fachkräfte in den ersten Tagen dürfte das Ausmaß der Katastrophe noch steigern. Die für solche Fälle nicht gerüstete Feuerwehr spült den Schlamm mit Wasserdruck von den Straßen. Damit gerät er über die Kanalisation noch schneller in Flüsse und Grundwasser.
Orbán wird jetzt beweisen müssen, dass er nicht nur Schultern klopfen kann. Nach der bisherigen Informationssperre über gegenwärtige und künftige Gefahren wäre volle Transparenz ein guter Anfang.
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