■ Querspalte: Bier für alle!
Der Sommer ist zu Ende, und die ehedem ostdeutschen Brauereien drehen durch. Nachdem sie zumindest im Berliner Raum glücklich in die Getränkeketten vorgedrungen sind und sich nicht unbeträchtliche Marktanteile erobert haben, versuchen sie, mit schlanken, eleganten 0,5-Liter-Flaschen ihr Publikum zu wechseln. Eine Milchmädchenrechnung, ein abstoßender Rückschritt, der zudem die neugewonnene Kundschaft verprellt!
Jahrelang war der Westberliner Biertrinker auf Becks, Jever und andere Sorten angewiesen. Schultheiss, Kindl oder das Charlottenburger Pilsener waren nie ernstzunehmende Alternativen, schmeckten bestenfalls morgens auf der Baustelle, jedoch nicht nachts in seliger Trunkenheit, deren Pflege doch eigentlich erste Sorge des braven Brauers sein sollte! Mit der Vereinigung kamen „Bürgerbräu“, „Berliner Pilsener“ und das gute „Rex“ wenn schon nicht in die Westkneipen, so doch in die Supermärkte des Westteils der Stadt. Und wo das Gute nun endlich verfügbar war, wandelte sich das nette Gesicht des Gewohnten plötzlich zur Fratze. Der fröhliche Punker mit dem Sixpack Becksbier entpuppte sich als Yuppie. Becks, Jever oder Flens schmeckten dem echten, guten, dem überzeugten Biertrinker jedenfalls nicht mehr. Neben dem guten Ostbier erinnerten Becks und auch Jever oder Flens plötzlich an Parfüm. Die Werbung tat ein übriges, Becks zum Haßobjekt werden zu lassen: Becks trinken, Segelyacht fahren, Peter Stuyvesant rauchen, Eigentumswohnung kaufen! Wie anders war das Ostbier, das reell zwar in fiese Westhand übergegangen war, symbolisch allerdings auf der Seite des guten Ostlers stand. Und geschmacklich dem Westbier weit überlegen war und ist. Seit kurzem nun bemühen sich die östlichen Biermarken — vom „Lübzer“, über „Krotziner“ zu „Bürgerbräu“ —, ihr sympathisches Image zu ändern. Wie seit ein paar Jahren schon in der Werbung des Westens rückt man ab vom Tatsächlichen, um verlogen das Bier als Besonderes darzustellen. Als eine Art „sektähnliches Getränk“ (Peter Wawerzinek), als „ein Genuß, den man sich als Dame sogar leisten kann“.
Der erste anpasserische Schritt ist mit der Veränderung des Flaschendesigns getan. Die alten schicken, behäbig, doch entschlossen wirkenden 0,5-Liter-Flaschen hat man durch schlanke, immer geputzt wirkende, ein wenig an zu klein geratene Weinflaschen erinnernde Flaschen ersetzt. Die Veränderung der Füllmenge — von östlichen 0,5 l auf westliche 0,3 l und die Erhöhung des Preises steht zu befürchten. Wehret den Anfängen! Laßt ab davon! Yuppies trinken eh kaum Bier! Bier ist für alle! Bier muß schmecken und sonst gar nichts! Detlef Kuhlbrodt
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