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■ QuerspalteMir nach, Journalien!

F. K. Waechter hat recht: Da macht man Purzelbäume, dreht Pirouetten und jongliert einhändig – und es guckt wieder kein Schwein. Rutscht man aber auf der Bananenschale aus, lacht es plötzlich aus allen Ecken. Wie gemein die Welt ist, das erfahren in diesen Tagen die Ortsvereinsmitglieder der SPD im schwäbischen Reutlingen.

Stand da ein kleiner, durchaus nett gemeinter Artikel in der taz (vom 26. 9.), in dem die seit vielen Jahren gepflegte Streit- und Vernichtungskultur der Reutlinger Genossen liebevoll beschrieben wird, ja, wo berichtet wird, wie ein Therapeut die zerstrittenen SPD-Fraktionsmitglieder wieder miteinander versöhnte – und was geschieht? Plötzlich wirft die ganze Bundesrepublik ihr mediales Auge auf den kleinen Ortsverein und schaltet die Scheinwerfer ein: Genossen auf der Couch, hihihi.

Am schnellsten waren die von Spiegel-TV, die lesen die taz schon vor dem Frühstück; dann folgten in der Reihenfolge ihrer Anrufe der Stern, der Spiegel, die Zeit und Focus. Sie alle wollten nur das eine: den Vorsitzenden Scharping und Schröder den Spiegel ihrer Basis vor Augen halten. Denn wie der Herr, so's G'scherr.

Am Morgen noch verschüchtert, antworteten die sozialdemokratischen Streithähne aus der Provinz nach dem Mittagessen den Anrufern aus Hamburg oder München schon selbstbewußter. Und was geschah am Abend? Da waren sich die Reutlinger Sozialdemokraten nach einer gemeinsamen Sitzung dann so einig, wie seit Jahren nicht mehr. Ist es eine Schande, sich zu streiten? Nein, sagten sie. Ist es normal, in einer Partei zu streiten? Gewiß, riefen sie. Ist es modern, sich im Streit die professionelle Hilfe eines Therapeuten zu holen? Selbstverständlich, jubelten sie.

Und bieten ihr „Reutlinger Modell“ nun wohl in Bonn und Hannover zur Nachahmung an. Wenn dann die Kameras und Notizblöcke aus Reutlingen abgezogen sind, guckt aber wahrscheinlich wieder kein Schwein. Philipp Maußhardt

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