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■ QuerspalteMehr Recht auf Lüge

Was ist die fieseste Sozial-Schweinerei in Deutschland? Was läßt tausende älterer Männer und Frauen arbeitslos bleiben und in Hoffnungslosigkeit versinken? Genau: das Bewerbungsverfahren!

Es fängt mit der Vorauswahl an: alles, was über 39 ist, nach links, auf den Stapel mit den Absagen. Dann Auswahlstufe zwei, vom Chef persönlich: Lebensläufe mit unsympathischen Fotos auch nach links („Die sieht mir nicht danach aus, als passe sie hier rein“). Und überhaupt Frauen unter 35, die könnten ja schwanger werden. Die Hälfte davon sicherheitshalber ebenfalls nach links.

Amerika, du hast es besser! Aber nur auf den ersten Blick. Wer sich in den USA um eine Stelle bewirbt, braucht sein Geburtsdatum nicht ins Anschreiben zu setzen. Ganz zu schweigen von einem Porträtfoto überm Lebenslauf. Ein Gesetz verbietet gar, KandidatInnen etwa nach ihrem Alter zu fragen. Alles äußert politically correct. Nur – es nützt nicht viel. Geschickte Personalexperten haben längst heraus, schon am Telefon das Gewünschte zu erfragen („Na, und wie lange liegt denn Ihr College-Abschluß schon zurück?“) Die Amis sind einfach noch zu korrekt in ihrer political correctness. Man muß weitergehen! Ein Recht auf Lüge für alle Jobsuchenden!

Die US-Filmindustrie macht es uns vor. Da sind alle Serienstars zufällig gerade 28 geworden. So tief muß die Altersgrenze zwar nicht hängen. Aber wie wär's, wenn alle jenseits der 39 ihr Wunschalter erfinden dürften? Kein Foto im Anschreiben, den Vornamen nur als Initial. Hilfreich im Vorstellungsgespräch ist dann die gesetzlich vorgeschriebene Einheitskutte mit Gesichtsmaske. In Verkleidung läßt sich erst recht qualifiziert über die konkreten Anforderungen des Jobs verhandeln, bis hin zum Anstellungsvertrag. Es könnte die Arbeitswelt revolutionieren: neueingestellte, strahlende 50jährige Frauen in Bürojobs, ältere Männer, Dicke, Häßliche, allen eine Chance. Ein billigeres Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit gibt es nicht: mehr Recht auf Lüge! Barbara Dribbusch

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