■ Querspalte: Gar nicht zart, Edzard!
War es die Magie des Ortes? Oder der Fluch? Egal. Nur wenige Meter von der zukünftigen Daimler-Stadt am Potsdamer Platz entfernt, hat Edzard Reuter erneut & ungefragt seine „Visionen“ für Berlin verbreitet. In der Kunstbibliothek mußte die unschuldige Laudatio an den befreundeten Graphiker Kurt Weidemann dafür herhalten. Eine donnernde Wiederholung des „Berlin ist nicht Posemuckel!“ Weidemann war am Mittwoch mit dem „Lucky Strike Designer-Award“ ausgezeichnet worden; er hat unter anderem auch das Schriftbild von Mercedes- Benz entworfen. Edzard Reuter, Ex-Chef von Daimler und ewiger Berliner Bürgermeisterssohn, brachte nicht nur die längst bekannte Schelte der inkompetenten Politkaste der Hauptstadt.
Nein, er bemühte sogar, „hier, wo eine allzu erstarrte Subventionsinsel versinkt“ (und sein Konzern gerade eine neue hochzieht), den Mythos Prenzlauer Berg: Statt angstvoll in „Schumpeterschen Modernisierungsschüben“ zu erstarren, sollten die Eliten sich doch bitte ein Beispiel an den Alternativen nehmen. Schließlich sei der „Prenzelberg“ als „rastloses Unterfutter einer Metropole“ mit seinen „Tausenden und Abertausenden“ kleinen Initiativen schon „voller kreativer neuer Geschäftsideen“!
Plötzlich & unerwartet nahm Reuter dann die Presse und Greenpeace aufs Korn: „Feige Gurus des vermeintlichen Hintergrundwissens“ hätten sich „mit den Medien zusammengetan“. Projekte, Wagnisse, Menschen würden miesgemacht mithilfs „krankhaftester Pamphlete oder geifernder Anmaßungen des Neides“. Bei Greenpeace, so Reuter, einer Organisation, die „weder demokratisch legitimiert noch ein Teil der freien Presse ist“, schlage „Kritik in Kampagne um“. Es scheine allerhöchste Zeit, so der Ex-Daimlerboß, „ernsthaft darüber zu sprechen, ob nicht der Mißbrauch der freien Meinungsäußerung durch solche Organisationen und Teile der Medien zu einer Gefährdung von Demokratie führen kann“. Komische Vision. Philip Kahle
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