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■ QuerspalteSubstanz des Menschen

Zu verallgemeinern heißt, ein Idiot zu sein. Die chinesische Volksbefreiungsarmee besteht aus 24 Armeegruppen. Was soll ausgerechnet die 196. Infanteriedivision, der Bundeskanzler Kohl heute einen Besuch abstattet, mit den bedauerlichen Ereignissen auf dem Tiananmen-Platz im Juni 1989 zu tun haben? Erstens: Die Division hat definitionsgemäß keine Panzer zur Verfügung, konnte demnach also keine Demonstranten niederwalzen. Zweitens: Sie war voll damit ausgelastet, die Heimat vor Aggressionen von außen zu schützen. Drittens: Sie mußte in der noch verbleibenden Zeit für Staatsbesuche üben. Sie ist eine Vorzeigedivision, darf sich folglich nicht die Uniformen mit Blut beschmieren. Sie ist eine klitzekleine, putzige Militäreinheit, die außerdem noch den Vorteil hat, zwischen Peking und der alten deutschen Kolonie Tienjin stationiert zu sein, so daß der Kanzler bei ihrem Besuch keinen beschwerlichen Umweg auf sich nehmen muß.

Und außerdem hängt bekanntlich alles mit allem zusammen. Wer des Kanzlers Visite bei den 196er Infanteristen kritisieren will, kann auch gleich die Politiker der alten Bundesrepublik anklagen, die mit Mitgliedern des SED-Politbüros, allen voran mit dessen Generalsekretären, vor den Kameras breit gelächelt und sich die Hände geschüttelt haben. Aber ja doch, das war unseren Staatslenkern damals natürlich unsäglich peinlich, wußten sie doch, was Richter Bräutigam erst jetzt klar ist: daß mit ihnen auf dem Sofa verbrecherische Kreaturen saßen. Aber was sind schon Förmlichkeiten, was symbolische Gesten! Es galt, das SED-Regime zu stärken, um es in die Lage zu versetzen, die notwendigen Reformen durchzuführen, deren Wirkung es schließlich stürzen würde.

Es ging damals um nichts weniger als das Schicksal, um die Menschen im geteilten Deutschland, und um sie geht es auch heute irgendwo zwischen Peking und Tienjin. Genauer gesagt: Es geht um die Substanz des Menschlichen – um Arbeitsplätze, gesichert durch Exportaufträge. Christian Semler

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