■ Querspalte: Minus minus Minus
Die wirklichen Utopien gibt's in Ostdeutschland, der Westen hat es bloß noch nicht gemerkt. Arbeitsmarkt im Jahr 2000 – der Osten macht es vor. Tarifflucht, Löhne unter dem Existenzminimum, Rausschmisse von Müttern im Erziehungsurlaub – alles schon da. Und es kommt noch besser: Zum ersten Mal haben Arbeitgeber einen Tarifvertrag gekündigt und es geschafft, in geistiger Anlehnung an das beliebte Minus-Wachstum, weniger als nichts anzubieten: Fünf Prozent Lohnkürzungen für die Schutzleute im privaten Wach- und Sicherheitsgewerbe Brandenburgs. Wenn das kein Angebot ist!
Der neue Hoffnungsstrahl für die West-Unternehmer kommt aus einer besonders düsteren Ecke. Denn nichts ist in Ostdeutschland unsicherer als das Sicherheitsgewerbe. Viele Wachleute waren früher bei der Stasi oder den DDR- Grenztruppen, heißt es, und fänden anderswo keinen Job. Deswegen müssen sie sich auch jetzt schon mit einem Stundenlohn von 8,60 Mark brutto begnügen. Kein Wunder, daß die Leute dann auch 50, 60 Stunden in der Woche Wache schieben. Dumpinglöhne sorgen eben für extra-lange Sicherheit. Mit Sicherheit!
Die uniformierten Ostbewacher spielen die Vorreiter für den Ernstfall auf dem Arbeitsmarkt im Westen. Warum haben sich die West-Unternehmer eigentlich nicht schon längst beim Bundesverband deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen bedankt? Vielleicht mit fünfzig deutschen Schäferhunden? Ex oriente tenebris! Aus dem Osten kommt schließlich die Dunkelheit, und dort liegt die Zukunft. Tarife nach unten öffnen, neue, untere Lohnklassen einrichten – der ewige Refrain von Murmann und Konsorten –, jetzt haben sie endlich die erste Strophe. Wie wär's mit der zweiten? Man stelle sich vor, Tarifverhandlungen in der Chemie – einfach fünf Prozent weniger anbieten. Tarifrunden für die Banken – fünfzig Prozent weniger. Je besser der Job, desto niedriger die Offerte. Die Nachfrage bestimmt schließlich das Angebot. Barbara Dribbusch
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