■ Querspalte: Aufrecht stehende Bürger
Wer in Berlin mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, lebt gefährlich. „Bei 1,6 Milliarden Personen-Kilometern zählten wir letztes Jahr 1.154 Unfälle“, so BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Also alle 1,4 Millionen Personen-Kilometer gibt es ein Unglück. Genauer gesagt: Wenn in einer U-Bahn, einem Bus oder einer Straßenbahn durchschnittlich 100 Leute fünf Kilometer mitfahren, gibt es alle 2.800 Kilometer einen Unfall. Schön, schön.
Wird schon stimmen. Oder auch nicht. In jedem Fall ist Busfahren gefährlicher als Rinderwahn und stimmt sehr besorgniserregend. Zumal die Fahrer in 2,5 Prozent aller Fälle – also in etwa alle 112.000 Kilometer – unglücksverschuldendes Verhalten an den Tag legen. Deshalb möchte Bundesverkehrsminister Wissmann (CDU) zur hilfreichen Tat schreiten. Um die Sicherheit der gefährdeten Fahrgäste zu erhöhen und weil Wissmann an einer witzigen Hirnkrankheit leidet, über die man nicht spaßen sollte, hat er letzte Woche angeregt, das Stehen in Bussen zu verbieten. Rumstehen wird ab nun verboten, in den Bussen der Bedrohten.
Das freut den grimmigen Zeitungsleser und befeuert den Wellenschlag der Empörung: Entsetzen bei den öffentlichen Nahverkehrsbetreibern, zumal die 784 Berliner „Schlenkis“ und unzählige „Eindecker“ doppelt so viele Steh- wie Sitzplätze haben. Mürrischer Unwillen beim „Fahrgastverband“. Empörung bei Volk und Bild – Rumgezeter auf den billigen Plätzen. Wo gibt's denn so was! Hinweise darauf, daß die Versuche, Stehplätze in Fußballstadien abzuschaffen, kläglich scheiterten und daß die praktische Überwachung des Stehverbots sich genauso lustig gestalten wird wie die Bestrafung kompromißlos aufrecht stehender Bürgerrechtler, trösten nur kurz. Die machen, was sie wollen.
Der Steuerbürger ist wieder der Dumme. Dieser Wissmann hat doch noch nie einen Bus von innen gesehen! Unglaublich das! Wehret den Anfängen! Wenn es so weitergeht, werden die demnächst auch noch das Haschrauchen verbieten. Detlef Kuhlbrodt
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