■ Querspalte: Mörder können zielen
Kaum ein Tag, an dem nicht ein Dreikäsehoch auf die Straße flitzt, sich das Hemd über der Brust aufreißend: „He, he, Soldaten sind Mörder, he, ihr da, ihr Schergen, ihr kriegt mich nicht!“ Ich finde das respektlos. Wenn der Staat bestimmte Äußerungen verbietet, dann hat er dafür seine Gründe. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von Sätzen, die der Staat nicht ausdrücklich untersagt; möge man doch bitteschön auf diese zurückgreifen.
Außerdem hat niemand das Recht, einen Begriff ins Zwielicht zu ziehen, dem seit Lee Harvey Oswald ein gerüttelt Maß Akkuratesse und – seit Dr. Crippen an Bord war – durchaus auch bläßliche Noblesse innewohnen. Soldaten sind keine Mörder. Mörder denken sich – laut Strafgesetzbuch – immer etwas dabei.
Soldaten hingegen sind Personen, die vom Hubschrauber aus einen Krankenwagen fahren sehen und mittels Rakete dem Leiden der möglicherweise erkrankten Sankra-Insassen ein rasches Ende bereiten. Das ist um so gnädiger, da es sich um Kinder handelt. Anschließend sagen Soldaten, am Steuer habe ein Terrorist gesessen, die ganze minderjährige Bagage als Schutzschild mißbrauchend. Mörder hätten nur den Mann erschossen. Soldaten unterbinden gleich den ganzen Mißbrauch.
Mörder wissen, wen sie morden wollen. Soldaten hingegen sind Leute, die hinter gepanzerten Präzisionsgeschützen kauern und auf zwölf Kilometer Entfernung mal eben eine Salve in – zuvor eigenhändig vertriebene – Flüchtlinge geben. „Es tut uns sehr leid“, sagen die Soldaten anschließend. „Hisbollah hat auf unsere Stellungen gefeuert, und wir haben auf die Quelle des Feuers zurückgefeuert.“ Mörder können zielen. Soldaten sind keine Mörder. Soldaten lassen zum Schluß den blutigen Gefechtsmüll feinsäuberlich in hygienische Plastiktütchen flutschen. Mörder tun dies selten, und wenn, dann grundsätzlich nicht vor Kameras. Dann sagt ein Obersoldat in eine Mikrofon: „Zähne zusammenbeißen und weitermachen!“ Ein Mörder? Ich bitte Sie! André Mielke
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