■ Querspalte: Wenn die Justiz versagt
Öffentliche Druckräume werden eingerichtet. Immer mehr Knäste verteilen ungeniert Spritzen an die Gefangenen. Besitz sogenannter Kleinmengen an Haschisch wird nicht mehr verfolgt. Ärzte und Ärztekammer-Präsidenten feiern Cannabis als prima Medizin. Bei der Raver-Parade in Basel werden Ecstasy-Pillen von der Polizei toleriert, Konsumenten beraten. Die Fundamente bröckeln. Selbst auf die Berliner Klassenjustiz ist kein Verlaß mehr. Das Verwaltungsgericht befaßt sich ernsthaft mit der Frage, ob der Liedermacher, Stadtindianer und Rastamann Hans Söllner „aus religiösen Gründen“ Marihuana anbauen darf. Er darf nicht! Wär' ja noch schöner.
Söllner, der trickreich alle Arten von Drogenmißbrauch ablehnt, bat um Respekt vor seinem Drogengebrauch und berief sich auf die Freiheit der Religionsausübung. Wie der Meßwein zum Katholizismus, das Sixpack zum Gottesdienst im Bundesligastadion, der Kräutertee zum Müslimanismus, so soll Marihuana zu seinem Rastakult gehören. In einigen US- Staaten darf in den Rasta-Gottesdiensten tatsächlich schon Gras geraucht werden. Bald auch bei uns.
Der Berliner Richter Bernd-Lutz Blömeke zeigte sich in erschreckendem Maße verständnisvoll. Er verweigerte zwar letztlich die Anbaugenehmigung für Cannabis, sprengte aber mit einem Satz die kulturellen Grundwerte der Republik: „Der Alkohol“, sagte Blömeke zu Söllner, „schadet sicher mehr als alles Kraut, was Sie jemals wegrauchen können.“ Berliner Richter. Im Jahre 1996. Was ist los mit dieser Republik?
Das große Rom ging unter, weil der Verfall der Sitten, der Einbruch der fremden Kulte die römische Identität zerstörten. Dann kamen die Barbaren. Und Deutschland? Massenarbeitslosigkeit, sozialer Kahlschlag, Bombenkrater im Haushalt – untrügliche Zeichen des Verfalls. Und vor Gericht werden Marihuanaraucher gehätschelt, wird die Maß zum Hendl zum Sicherheitsrisiko erklärt. Die Barbaren sind nicht mehr weit. Manfred Kriener
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