■ Querspalte: Altern mit Regie
Es tut einem richtig leid, den armen Kerl so steif dastehen zu sehen, wie er seine Hand irgendwohin hält, wo er seinen Besucher vermutet – so daß dieser schnell hinspringen muß und zugreifen, auf daß er danach etwas von einem „gesunden und munteren“ Boris vermelden kann. Wie schlimm zu sehen, daß seine mühsam hervorgepreßten Witzchen so unverständlich sind, daß in den Zeitungen danach ein Dutzend Versionen stehen? Boris Jelzin, Präsident aller Russeen, ist ohne Zweifel nur noch ein Schatten.
Wie anders da der andere, obwohl elf Jahre älter und schon viel länger schwer malad: Karol Wojtyla aus Krakau, seines Zeichens Papst in Rom. Mehr als ein halbes dutzendmal operiert, dazwischen auch mal per Pistole angeschossen, unheilbar an Parkinsons Krankheit laborierend, macht er dennoch den Eindruck, er halte die Schlüssel von Sankt Peter noch immer in der Hand. Boris, lern von ihm: auch Schatten kann man so lebendig vorführen, daß das Volk sie für die Realität hält.
Bei Wojtyla sorgt eine unübertreffliche Regie dafür, daß er, trotz mentaler Schwächen und körperlicher Gebrechen, so völlig ungebrochen erscheint. Nie würde ihn die Hofkamarilla so täppisch zeigen wie Jelzin: Ist er gerade besonders wackelig, erscheint er lediglich hoch oben am Fester seines Palastes oder Krankenhauses. Daß ihn von hinten vier Helfer stützen, kriegt niemand mit. Muß er doch mal raus, wird er für ein paar Minuten hochgedopt und so geschickt gekleidet, daß man den Stock in seiner linken Hand erst zuletzt bemerkt. Wie er dann total erschöpft in den Wagen hineinplumpste, konnten die Kameras nicht filmen – genau berechnend hatte man ihnen einen toten Winkel angewiesen.
Boris, denk nach. Ein entrücktes Audienzfenster wird sich doch im Kreml und im Hospital finden lassen. Den Rest solltest du Superregisseur Franco Zeffirelli („Jesus Christus“, „Romeo und Julia“, „Hamlet“) überlassen – der kann das. Er arrangiert seit Paul VI. die wichtigten Audienzen aller Päpste. Werner Raith
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