■ Querspalte: "Loks gucken gehen!"
Also wirklich, Leute! Wurfanker! Hakenkrallen! Auch noch zwischen Berlin und Dessau!! Da fahren diese hochmodernen Büchsen der Pandora doch gar nicht vorbei! Was soll der Scheiß? Das war wohl eher eine Aktion ewiggestriger Wessis gegen die verhaßten „Zonis“. Außerdem sind derlei Aktionen auch gefährlich und – vollkommen überflüssig!
Es gibt doch eine ganz hervorragende und vollständig ungefährliche „Widerstandsform für die ganze Familie“. Und die geht so: Man geht in kleinen Gruppen entlang der Castor-Strecke „Loks gucken“. Am Rande stehen und warten genügt. Fährt ein Zug vorbei, meldet der Zugführer pflichteifrigst „mehrere Gestalten am Bahnkörper“. Und schon jagen die Ordnungskräfte zur Überprüfung los und haben gut zu tun.
Wenn heute und in den nächsten Tagen zum Beispiel ganz viele Familienväter in sich gehen und an ihre schöne Modelleisenbahnzeit denken, in der die Welt noch in Ordnung war, ja, wer käme da nicht spontan auf die Idee, „Loks zu gucken“? Alle paar hundert Meter eine Familie, WG oder Clique im blattkahlen Unterholz, ja, da wird jeder Lokführer zum Funkemarieschen, und BGS und Polizei hätten Aufträge noch und nöcher.
Selbst all die Menschen, die in abgelegenen Regionen leben und sich darüber ärgern, am „Arsch der Welt“ nie was mitzukriegen – hier können sie Präsenz zeigen, können zuschlagen, ohne die Hand zu erheben, für Verwirrung sorgen, Kosten in die Höhe treiben, kurz Widerstand leisten gegen bewachte Sonderzüge, die durch Deutschland fahren. Und das, ohne Gesetze zu übertreten, also quasi mit Bahnsteigkarte. Eine Armbinde oder ein Stirnband mit Atomzeichen drauf macht sich gut, auch Kinder, die mit AKW-nee- Wimpeln selbst den Interregio frenetisch begrüßen.
Ich kann es schon hören: Brz, brz, bräg, brz, ja, hier ICE Mozart, brz, biep, Streckenabschnitt 14, b, 11, mehrere Gestalten ... brz, bruig, brz, halt ... Streckenabschnitt 16, c, 23, auch meh... auf beiden Sei... brz... Philippe André
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