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■ QuerspalteSind Ostler wirklich Hunnen?

Unsere schöne deutsche Einheit wird kaputtgemacht. An der Grenze zwischen Thüringen und Bayern kursiert seit Wochen ein Flugblatt, in dem die Ostdeutschen als Schmarotzer und Absahner beschimpft werden. „Ihr habt gar nichts zu fordern, sondern das Maul zu halten“, empfiehlt ihnen der anonyme Autor. Die DDR sei ein „Saustall“ gewesen, und Ostdeutschland befände sich heute immer noch in einem „erbärmlichen Zustand“. Überhaupt seien „die Ossis“ im Westen eingefallen „wie seinerzeit die Hunnen, ohne jedes Gefühl“. Dieser schamlose Angriff auf unser Gemeinwesen kann nicht einfach so hingenommen werden.

Doch was macht der Kanzler? Wo ist die Opposition? Gibt es schon einen Termin für eine Bundestagssondersitzung? Im Westen meint man wohl, dieses Flugblatt als Entgleisung eines einzelnen abtun zu können. Doch mit dieser gleichgültigen Haltung, mit postmoderner Beliebigkeit kommt man nicht weit. So werden wir die innere Einheit nie vollenden! Eine Demokratie muß auch wehrhaft sein!

Im Osten hat man das, was der Westen offensichtlich schon wieder vergessen hat, verinnerlicht. Die Bürger der jungen Bundesländer reagieren auf das Flugblatt so, wie es den Schmierereien angemessen ist: Sie sind empört. Sie sind wütend. Sie schreiben Eingaben an das Politbüro. Martin Kaspari, Landrat im thüringischen Wartburgkreis, beweist, daß die haltlosen Vorwürfe mit guten Argumenten zu entkräften sind: „Auf Gemeindeebene haben wir die innere Einheit schon vollzogen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Nachbarkreisen im Westen. Wir hatten schon etliche gemeinsame Dorffeste.“ Zur Sicherheit hat Kaspari gegen den unbekannten Schreiber auch noch Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits.

Man sollte vielleicht noch prüfen, ob man den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte einschaltet oder auch die Nato, die kümmert sich doch jetzt so um den Osten. Wozu sind wir 1989 denn auf die Straße gegangen? Jens König

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