piwik no script img

■ QuerspalteWenn der Postmann klingelt

Nehmen wir mal an, kann ja passieren, Sie sind arbeitslos. Dann haben Sie jetzt Glück – nach der neuesten Rechtsprechung sind Sie's nicht mehr. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat einen Full-time-Job für Sie. Die Tätigkeit heißt: Warten auf den Briefträger.

Der Briefträger, zur Erinnerung, ist der Mann, den Sie nie zu sehen kriegen, der meist eine Frau ist, vor allem aber ein Phantom. Er wirft weiße, gelbe und rote Zettel in Ihren Briefkasten mit der Benachrichtigung, Sie seien zu Hause nicht existent. Vor allem aber ist er ein Mensch, der durch überraschendes Erscheinen und beliebiges Fernbleiben demonstriert, was ein freies Individuum ist, das autonom über so trivialen Dingen wie Uhrzeiten steht.

Wann der Briefträger kommt, ist nicht kalkulierbar. Doch wenn Sie in den Genuß von Arbeitslosengeld kommen wollen, müssen Sie zukünftig abwarten, was nicht vorherzusehen ist: wann der Postbote klingelt. Eine Aufgabe, die sich zweifellos von den Morgenstunden bis in den späten Nachmittag erstrecken kann. Völlig unklar ist zwar unter diesen Bedingungen, wie ein Arbeitsloser auch noch für den Arbeitsmarkt verfügbar sein kann, wenn er doch für den Briefträger verfügbar sein muß. Aber die Mainzer Richter werden schon wissen, was sie da entschieden haben.

Naheliegend ist, daß sie sich bei ihrem weisen Urteil von den jüngsten Beispielen für Zuverlässigkeit und vorausschauende Planungssicherheit der Deutschen Bundespost haben leiten lassen. „Ham wer nich“, „ausverkauft“, „gib's nich“ – wer derzeit am Postschalter das offenbar abwegige Begehren äußert, den Versand eines Briefes doch bitte, bitte mittels Verkauf einer zusätzlichen Zehnpfennigmarke gnädigst möglich zu machen, fühlt sich dunkel an irgend etwas erinnert. Und genau da liegt die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme. Niemand anders als VEB Bundespost hat sie gefunden. Zurück zur sozialistischen Planwirtschaft! Arbeitslosigkeit – immerhin – hat's da nicht gegeben. Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen