■ Querspalte: Kohl im Hungerstreik
Haben Sie den Rexrodt gesehen, gestern in der „Tagesschau“? Wie er in der wütenden Menge stand vor der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg? Die Faust hatte er geballt und laut „Fünf Millionen Arbeitslose sind zuviel“ skandiert. Wow! Und der Waigel, echt stark, blockiert die Grenze nach Luxemburg, „Den Steuerflüchtlingen keine Chance!“. Zugegeben, das mit der Blockade war von den französischen Lkw- Fahrern abgeguckt, aber im Grunde hat ja die ganze Bundesregierung ohnehin nur vom Kollegen Rüttgers gelernt. Und fürs Lernen ist ein Bildungsminister schließlich da.
Das war schon genial, wie der Rüttgers sich an die Spitze der Bewegung gesetzt hat. Die Studenten haben recht, hat er gerufen, mehr Geld für die Bildung! Endlich handeln muß unsere Regierung! Hätte nicht viel gefehlt, und der Mann hätte sein eigenes Ministerium gestürmt. Zum Glück haben jungen Leute ihn davon abgehalten – von wegen „Keine Gewalt!“ und „Wir sind nicht die 68er!“.
Schäuble, der schlaue Fuchs, war es dann, der am Kabinettstisch die Order herausgab: Die beste Taktik gegen den leidigen Vorwurf des Stillstands ist Bewegung. Die Regierung muß gegen sich selbst auf die Straße gehen! Angela Merkel wurde vergattert, beim nächsten Castor-Transport nach Gorleben das Regierungs-Sommercamp zu organisieren, Klaus Kinkel wurde schon mit dem Transparent „Schluß mit der Unterstützung des Mullah-Regimes“ vor der iranischen Botschaft gesehen.
An einem Punkt ist aber Wolfang Schäuble gescheitert. Seinen Vorschlag, der Kanzler sollte sich selbst mit einem Ei bewerfen, lehnte Helmut Kohl als „unappetitlich“ ab. Kohl erklärte sich aber bereit, gegen sich selbst in den Hungerstreik zu treten. Im nächsten Sommer am Wolfgangsee. Der Protest käme gerade recht zu den Bundestagswahlen. Denn wer würde nicht eine Regierung wiederwählen, in der alle gegen sich selbst protestieren und nie einer regiert hat? Vera Gaserow
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