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■ QuerspalteSchießt Kohl vom Platz

Die Ossis sind an allem schuld. Vor allem daran, daß Kohl nicht, wie in zivilisierten Ländern üblich, nach acht Jahren aus seinem Amt verabschiedet worden ist. Daß der Osten uns mit der Bundestagswahl 1990 den ewigen Aussitzer noch einmal reingedrückt und die Bürgerrechts-Grünen in die Wüste geschickt hat, verlangt nach einer Erklärung. Natürlich haben die Meinungsforscher damals allerlei Theorien ventiliert. Zum Beispiel, daß die Ostdeutschen so einfältig gewesen seien, auf Kohls Bauernfängerei von den blühenden Landschaften hereinzufallen. Überzeugend ist diese Analyse allerdings nicht. Schließlich haben sich die Menschen der ehemaligen RGW-Länder in ihrem Wahlverhalten eher durch Skepsis und Zynismus, denn durch Naivität ausgezeichnet. Neben den Ossis glaubten nur die Albaner in diesem Fall Berishas Märchen vom Reichtum für alle.

Berücksichtigt man, daß es die Ossis 1990 aufgrund jahrelanger Schulung durch das Westfernsehen und den „Schwarzen Kanal“ hätten besser wissen können als die jahrzehntelang isolierten Albaner, dann muß sich ihre „Naivität“ anders erklären. Was war der Grund für das wohlige Befinden, das sie zur Bestätigung der herrschenden Regierung verführte? Es war der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1990, die der Bundestagswahl vorausging. Im Gegensatz zu den Westdeutschen, die dieses Erlebnis schon zweimal hinter sich hatten, waren die Ossis zum ersten Mal im siebten „Wir-sind-wieder- wer“-Himmel und glaubten ernsthaft, daß künftig nicht nur die Nationalelf „unschlagbar“ (Beckenbauer) sei, sondern auch der wirtschaftliche Aufschwung eine steile Kurve nehme. Gut, inzwischen weiß man auch im Osten, daß es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Fußball und Aufschwung gibt. Aber sicher ist sicher, jedes Tor bei der anstehenden Weltmeisterschaft gegen Deutschland ist ein Tor gegen Kohl. Deshalb die inständige Bitte an die Iraner, die Serben und auch Amerikaner: Schießt Kohl vom Platz. Andrea Goldberg

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