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QUERSPALTESozialismus wieder eingeführt

■ — und niemand hat's gemerkt/ Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann verpflichtet Arbeitnehmer in Ost-Berlin zu »marxistisch-leninistischer Bildung«

Berlin. Dr. H. aus Ost-Berlin gehört zu den wenigen glücklichen, die einen neuen Arbeitsvertrag in den Händen halten. Ab 1.April darf er einer dem Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann unterstellten staatlichen Einrichtung dienen. »Das Arbeitsentgelt richtet sich nach der Gehaltsgruppe 11 gemäß RKV örtliche Staatsorgane und beträgt zur Zeit 1.690 DM monatlich«, so steht's nun festgeschrieben im Vertrag.

Für einen altgedienten Doktor der Naturwissenschaft ist das zwar wenig, aber, naja, immer noch besser als Stütze. Sicherheitshalber sah der Doktor die amtliche Definition von »Gehaltsgruppe 11« noch mal ein. Und fand folgende Definition seiner »erforderlichen Qualifikation«: »Verfügt über die für die Tätigkeit in den staatlichen Organen erforderlichen politischen und fachlichen Kenntnisse (...), insbesondere über einen festen Klassenstandpunkt, marxistisch-leninistische Bildung sowie die Fähigkeit, die Politik der Partei der Arbeiterklasse und der Regierung konsequent durchzusetzen und dabei ein enges Vertrauensverhältnis zu den Werktätigen zu schaffen.«

Nun ist der Doktor ganz ratlos. Da hat doch der Möllemann, bekannt für seine unkonventionellen Methoden und politischen Querschläge, einfach über Nacht den Sozialismus wieder aufgebaut — und niemand hat's gemerkt. Bloß: Als Mitglied im Bündnis 90 zweifelt unser Naturwissenschaftler doch ziemlich profunde an seiner Fähigkeit, die Partei der Arbeiterklasse konsequent zu vertreten.

Vergeblich versuchte unser Doktor also, sich Orientierung zu verschaffen.

War die kurze Meldung der Nachrichtenagentur 'adn‘ vorgestern mittag — »1. Mai 1991 ohne Klassenkampf« — nur ein Ablenkungsmanöver der ausgebufften PR-Manager Möllemanns, um das im Geheimen neurot erblühte Pflänzchen des Sozialismus zu schützen?

Es sieht ganz danach aus. Zwar tut die Untergrund-KPD/ML (Tendenz Marxismus-Liberalismus) unter Führung des Genossen Jürgen Möllemann alles, um ihr subversives Treiben geheimzuhalten, aber eine Telefonistin hat sich gestern gegenüber einer taz-Rechercheurin verraten. Letztere wollte den Betriebsratsvorsitzenden der Konsumgenossenschaft Berlin sprechen, doch die Vorzimmerfrau verplapperte sich: »Tut mir leid, in der Kaderabteilung ist derzeit niemand zu sprechen.« Ute Scheub

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