QUERSPALTE: Gerd Höllerich ist tot—der Markt blüht
■ Jedes Volk hat die Schlagersänger, die es verdient — Aber verdienen unsere Zeiten dieses Volk?
Und während ein Teil der deutschen Bevölkerung über noch bessere Asylantenvernichtungsaktionen nachgrübelt, tritt eine andere Menschengruppe am heutigen Tag zum Gegenbeweis der These Mitscherlichs von der Unfähigkeit zu Trauern an. Ein 48jähriger Mann mit schwarzen Haaren, blauen Augen und schlechtem Geschmack ist am Versagen eines Herzens erlegen, das offensichtlich keinen Grund zum Schlagen mehr sah. Gerd Höllerich ist tot, der Markt für seine alten gräßlichen Lieder blüht hingegen so lebendig wie in den letzten 20 Jahren nicht.
Als die taz am 11. Oktober auf ihrer bunten letzten Seite, getreu ihrem Motto die Wahrheit über sein Ableben veröffentlichte (Roy Black ging druff — es war nicht die Stasi, sondern der Suff) erhielt der Redakteur am gleichen Tag die ersten Drohanrufe seines jungen unschuldigen Lebens.
In Zeiten, in denen sich Deutschland so häßlich wie lange nicht zeigt, sind trauernde Schlagerliebhaber bemüht, der Welt ein schöneres, mitfühlendes, ja geradezu sensibles Antlitz unserer Nation zu präsentieren. Wie sehr wir uns und unsere österreichischen Brüder und Schwestern im Geiste, ja, wie sehr wir uns alle verändert haben (man denke nur an die langen Querelen um die Umbenennung einer Schule nach Carl von Ossietzky), merkt man doch schon an dem hervorragend unbürokratischen Vorschlag aus Kärnten, den Marktplatz der Stadt sofort nach Roy Black zu benennen.
Nicht nur hat jede Regierung das Volk, das sie verdient. Wir küren uns auch die Helden, die uns entsprechen — schließlich hat der Mann sogar noch kurz vor seinem Tod bei Nietzsche und Schopenhauer nach neuem Sinn gesucht — erfolglos allerdings, denn: „Die wußten im Grunde auch nichts.“
Im November hatte er eigentlich mit seinem Parapsychologen einen Termin für eine „Rückführung unter Hypnose“ geplant, damit er das Gefühl des Todes kennenlerne. Aber, und das wußte einer wie Roy Black so gut wie kein anderer: Für das Echte gibt es keinen Ersatz. „Ich nehm' Parfüm, damit ich nicht so nach mir stinke“, beschrieb er in einem Interview die Tragödie seiner inneren und äußeren Zerrissenheit. Jetzt braucht er sich noch nicht einmal mehr zu waschen. Gitta Koslowski
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