QUERSPALTE: Think big, Nawrocki
■ Wenn du zum Daume gehst, vergiß die Schrauben nicht
Berlin ist endlich wieder eine umkämpfte Stadt. Vom Westdeutschen Rundfunk bezahlte Provokateure haben von Köln aus — einer Stadt, die übrigens nur 30 Kilometer von Bonn entfernt ist — einen antiolympischen und berlinfeindlichen Feldzug gestartet. Der rheinländische Störsender strahlt unter schamloser Ausnutzung des ARD-Sendeverbundes schmuddelige Geschichten mitten in das Herz der neuen Hauptstadt hinein, die sich zur Zeit mit dem Aufstellen grellgelber Parkbänke, Mülleimer und Toilettenhäuschen sowie einer bärigen Zwangsbeflaggung aller öffentlichen Gebäude auf das Jahrtausendereignis Olympia vorbereitet. Es sei ein Skandal, daß sich die Berliner Olympia-Planer mit den besonderen sexuellen und sonstigen Vorlieben eines jeden IOC-Mitgliedes vertraut gemacht hätten — nach dem Motto: Wenn du zum Daume gehst, vergiß die Schrauben nicht.
Doch in der Stunde der Not und Entbehrung formieren sich in Berlin die alten Frontstadtkameraden, um die besudelte weiße Weste der Hauptstadt aller Deutschen wieder reinzuwaschen. Die Attacke des Rotfunks verfolge kein anderes Ziel, als der Stadt mit schnöden Strapsen die Luft abzuwürgen, empört sich ein besonders freier Berliner Sender. Schließlich weiß doch jedes Kind: Die um den IOC-Chef und Franco-Verehrer Juan Antonio Samaranch versammelte Garde gibt sich weder mit Gummibärchen und Werbekrawatten noch mit einer Stadtrundfahrt und einer Freikarte für die blaue Lemper zufrieden. Was ist denn schlimm daran, wenn sich die Berliner Olympia-Manager überlegen, mit welchen Geschenken sie den Herren der Ringe eine kleine Freude bereiten können? Was ist so kriminell an einer Wunschzettelkartei? Jede Familie, ob aus Rom, Toronto oder Ludwigshafen, fragt Anfang Dezember ab, was am 24. unter dem Christbaum liegen soll. Die Olympischen Spiele sind auch nur ein Fest der Liebe.
Doch statt diese Wahrheiten ganz sachlich zu vertreten und zu einem Höhepunkt der Olympia- Bewerbung weiterzuentwickeln, hat der Völkerball-Manager Nawrocki gekniffen. Der Olympionike, der aus der Treuhandanstalt kam, geriert sich als Biedermann, obwohl er aus dem vollen schöpfen könnte: war doch der eingemauerte Westteil jahrzehntelang ein einzigartiges Biotopis corruptum. Think big, Nawrocki! Etwas mehr als eine S-Klasse-Karre mit Cruising-Pack im Handschuhfach darf's schon sein! Wer andere zu kurz kommen läßt, den bestraft das IOC! Die Saubären
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