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QUERSPALTEDie neue Disziplin: „Wessis raten“

■ In Barcelona regiert der Olympiawahn

Zur Halbzeit der Olympischen Spiele sind die Spanier nun endgültig dem Olympiawahn erlegen. Enthemmt feiert das spanische Fernsehen den einstigen Franco-Büttel und jetzigen IOC-Chef wie einen König, ganz offiziell in der Abendschau. „Ein Tag im Leben des Juan Antonio Samaranch“, lautete die Topnachricht, die ihrer Bedeutung gemäß zwischen die Inhaftierung Honeckers und den Krieg in Osteuropa geschaltet wurde. Morgens, sieben Uhr, in der Samaranch- Suite: Samaranch steht auf und schreitet zur Gymnastik. Das hat er schon immer gern gemacht. Nach der Gymnastik Körperpflege. Statt Frühstück gibt's Orangensaft. Während Samaranch trinkt, unterschreibt er die ersten Papiere. Punkt 9.00 Uhr: Samaranch schreitet zur Audienz. Dannach ein kärgliches Mahl, gefolgt vom Mittagsschlaf. Den hat er schon immer gern gemacht...uswusf. Am Schluß wissen wir: Samaranch ist ein toller Hecht, weil er die Spiele endlich geöffnet hat für die Besten, will heißen, die Profisportler. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn wer Superstars bietet wie das US-Basketball-Dream-Team oder Sprinter Carl Lewis, kann die Fernsehgesellschaften gewaltig schröpfen.

Allerdings übersah der Olympia-Drücker in seiner Eitelkeit, daß sich auch andere im Business auskennen. Beispielsweise eben die von ihm so umworbenen Profisportler. Michael Jordan, der Basketball-Superstar, will sich weigern, im offiziellen Olympialeibchen den Siegerpodest zu erklimmen. Auf dem Dress nämlich befindet sich der Name des Dream-Team-Sponsors. „Das wird meinen eigenen Sponsor verärgern, das tu ich nicht“, entschied der Profi, und brachte damit seine Kollegen ebenfalls zum Grübeln. Nur mit dem Label seines privaten Gönners läßt er sich weltweit ablichten, und basta. Da hat Samaranch den Salat. Ärger wird er kriegen mit seinen Finanziers, es droht ein großer olympischer Familienkrach.

Währendessen vergnügen sich die Deutschen mit einem neuen Olympiaspiel: „Wessis raten“. Wer als Erster den Namen eines westdeutschen Medaillengewinners aufsagen kann, hat gewonnen. Denn wie in Albertville sind es hauptsächlich die Ossis, die absahnen. Und durchstarten zum Märtyrer-Coming-out: Schimpf und Schande schütten sie aus über die elenden, machtgeilen, unfähigen Westfunktionäre, die sie behandeln wie die Tiere und zu allem Überdruß auch noch den Erfolg ernten. „Köpfe müssen rollen“, fordert Dagmar Haase unter Tränen. Und freut sich an der neuen Freiheit, mal so richtig vom Leder ziehen zu dürfen. Michaela Schießl, Barcelona

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