Punk mit Pop-Appeal: Musikgewordene Trotzphase
Ladies and Gentlemen: Ordnungsamt und ihr Album "Mondo Marginalo" sind der etwas schimmelig riechende Beweis, das Punk nicht tot ist.

Punk ist nicht tot. Er riecht nur komisch. Nach dem verschimmelten Keller eines Übungsraums in Berlin-Moabit. Dort, bei einem "Selbstversuch" (Bandinfo) in der feuchten, Hautexzeme befördernden Luft, ist ganz vorzügliche Musik entstanden. Die würde sogar die schüchternste Assel zum Tanzen bringen. Bisher hat die Weltöffentlichkeit nur noch nicht Notiz davon genommen. Könnte sich bald ändern. Ladies and Gentlemen: Ordnungsamt und ihr Album "Mondo Marginalo".
Ein Duo, bestehend aus den beiden Twens Betty Beschuht und Luc Le Druc. Die beknacktesten Künstlernamen ever. Sie singt und spielt Schlagzeug, er singt und spielt Gitarre. Der übliche Pedigree fehlt: Kein Produzenten-Hotshot hatte seine Finger im Spiel, alles ist in Eigenregie entstanden. Seit 2009 hat die Band auf einer Ochsentour circa 300 Konzerte absolviert. Klar, ein Bandname wie Ordnungsamt kann da schon die halbe Miete sein.
Aber es gibt ja auch noch die 13 kurzen Songs von "Mondo Marginalo", ihrem neuen, zweiten Album. Musikgewordene Trotzphase, gleichzeitig charmant as hell, ausgekocht, mit massig Pop-Appeal. Ihren Stil bezeichnen Ordnungsamt als "Punkblues", man könnte auch Garage-Punk dazu sagen, oder raunchy Rock n Roll. Wild Billy Childish, das frühe Jeans Team, oder die White Stripes haben Pate gestanden für die Musik von Ordnungsamt. Sie legen Wert auf Style, aber sie brechen ihn auch.
Lakonischer Wumms
Le Drucs präzise Riffs schielen auf die Frühzeit der Popmusik, als die Grundpfeiler der Existenz mit wenigen Handgriffen plastisch erfahrbar wurden. Er benutzt dafür die gleiche viereckige Bakelit-E-Gitarre wie Bo Diddley. Absolut gegenwärtig dagegen ist Beschuhts lakonischer Wumms. Stur geradeaus, zackig in die Magengrube. Aua. Und so entsteht eine Melange, Bo Diddley meets Künstlersozialkasse. Wir haben schließlich nicht ewig Zeit: Mach Schnell Productions heißt das bandeigene Label.
Ordnungsamt singen meist auf deutsch. "Blonde Bulette" handelt von einer resoluten Polizistin, einem "Kerl von einer Frau". "Hummel Error" ist einem Insekt gewidmet, das im Tiefflug über falsche Blumen kreist. "Jogginghosen und falscher Duft von roten Rosen" beschreibt das Styling der Protagonisten des Songs "Harte Jungs". Aber die Rede ist darin auch von "schweren Mädchen". Und überhaupt herrscht im Ordnungsamt Geschlechteregalität, nicht nur was die Songwriting-Credits anbelangt, auch die Songs sind demokratisch strukturiert, singt sie, macht er Background, und umgekehrt.
Keine Romantisierung der Liebe, bitte
Mit ihren Instrumenten beschränken sich die beiden auf wenige Handlungsmöglichkeiten, nutzen diese Reduktion aber maximal aus, so dass es klingt, als spielten Ordnungsamt immer zusammen mit ihren Doubles. Ansonsten ist die Dramaturgie von "Mondo Marginalo" verknappt, Instrumentals werden zwischen die gesungenen Songs geschaltet. Angenehm überrascht, dass Ordnungsamt in ihren Texten die Romantisierung der Armut aussparen, über die sie singen.
Die Romantisierung der Liebe sparen sie sich auch. In Zeiten, in denen der Mainstream Niedertracht als Tugend etabliert, kann die Antwort aus dem Underground nur Güte lauten. "Danke", der Auftaktsong von "Mondo Marginalo", bedankt sich höflich bei allen, die sich das Album zulegen.
2011 war ein katastrophales Jahr für deutschsprachige Popmusik, viel Schwulst, wenig Substanz. Aber es war ein gutes Jahr für Punk, man denke nur an "Prison Sweat", das gigantische Album der texanischen Hardcore-Ultras Total Abuse, oder an das Wiederauftauchen der Mönchengladbacher Veteranen EA 80. Insofern ist "Mondo Marginalo" ein Versprechen auf eine bessere Zukunft. Aber Vorsicht, gleich kommt das Ordnungsamt.
Ordnungsamt live, 13. Januar, Berlin, Kaffee Burger, weitere Termine in Planung
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!