Psychologe über Hooliganismus: "Manchmal reicht ein bisschen reden"
Der Psychologe Clifford Stott meint, vor allem die Polizei muss umdenken, um Gewalt in den Fußballstadien zu verhindern. Den Groll der Fans gegen Stadionverbote findet er nachvollziehbar.
taz: Mr Stott, wer ist schuld, wenn im Stadion die Fäuste fliegen: die Fans oder die Polizei?
Clifford Stott: Tatsächlich löst meistens das Verhalten der Polizei die Aggressionen aus.
Tritt die Polizei nicht an, die Gewalt im Stadion zu verhindern?
Dr. Clifford Stott ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Liverpool und erforscht die Interaktion von Fußballfans und Ordnungskräften. In Seminaren bildet er Polizisten in alternativen Kommunikationsstrategien aus. Zur heute beginnenden 13. Bundeskonferenz der Fanprojekte in Jena ist Stott als Referent geladen.
Ja, aber ob es zur Eskalation kommt, das hängt vom Miteinander der beteiligten Gruppen ab. Die dominanteste, mächtigste Gruppe im Stadion ist meistens die Polizei. Und wie die Polizei mit dieser Rolle umgeht, das ist manchmal, wenn auch versehentlich, erst die Grundlage für das Eskalieren einer Situation.
Welche Fehler begeht die Polizei immer wieder?
Sobald sie mit der Kontrolle von Massen beauftragt wird, neigt sie dazu, Tumulte oder Ausschreitungen durch die Androhung von Gewalt im Keim ersticken zu wollen. Wir aber haben bei der Erforschung von Gruppendynamik herausgefunden: Wenn Gewalt unangebracht und undifferenziert angewendet wird, werden erst die psychologischen Voraussetzungen für die Eskalation einer Situation geschaffen. Wir nennen das eine "self-fulfilling prophecy": Die Polizei denkt, dass Massen grundsätzlich gewalttätig und gefährlich sind und tritt entsprechend auf. Genau diese Sichtweise aber legt ironischerweise erst die Saat für die Gewalt.
Die Fans können nichts dafür?
Natürlich gibt es im Fußballpublikum Menschen, die gewaltbereit sind. Aber ich denke, das Problem ist nicht, wie sich die Fans verhalten, sondern dass Fans und Polizei langfristig gesehen zusammenarbeiten müssen. So simpel es klingt: Der Dialog muss verstärkt werden.
Wie können sich Fans und Polizei besser austauschen?
Es müssen Kommunikationskanäle her - Fan-Projekte sind da sehr sinnvoll. Sie sind eine effektive Art, Brücken zwischen Polizei und Fans zu bauen. Borussia Mönchengladbach zum Beispiel ist vorbildlich bei der Vermittlung zwischen beiden Gruppen. Aber die Kommunikationskanäle können gestört werden durch übermäßige polizeiliche Kontrolle. Wir helfen der Polizei dabei, zusätzlich zum Einsatz von Härte Handlungsalternativen zu entwickeln, die auf Kommunikation beruhen.
Eine Botschaft, die selbstverständlich sein sollte …
… die aber tatsächlich ziemlich schwierig zu vermitteln ist, weil die Polizei ihr Machtmonopol traditionell mit dem Einsatz von Gewalt durchsetzt. Das muss sich ändern. Die Polizei muss Mittel und Wege finden, ohne die Androhung von Gewalt mit Gruppen interagieren zu können. Das ist nicht leicht. In Schweden und in Dänemark gibt es Einheiten, die sich "Dialog-Polizei" oder "Event-Polizei" nennen. Deren Hauptaufgabe besteht darin, persönliche Verbindungen zu den Fans aufzubauen. Dazu sind aber große strukturelle, kulturelle und organisatorische Veränderungen innerhalb der Polizei nötig. Wir hoffen, ab Oktober von der Europäischen Kommission gefördert zu werden, um ein internationales Trainings-Programm entwickeln zu können.
Gibt es denn bereits hoffnungsvolle Ansätze für ein friedliches Miteinander beider Gruppen?
Ja, die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Damals wurde mit riskanten Gruppen wie den englischen Fans hervorragend umgegangen. In Frankfurt beispielsweise war ein engagiertes Team von kommunikativ vermittelnden Polizisten im Einsatz. Teilweise waren große Gruppen englischer Fans regelrecht auf der Suche nach deutschen Fans, um sich zu prügeln, aber die Kommunikationsbeauftragten waren in der Lage, diese Situationen zu deeskalieren.
Ein bisschen reden reicht da?
Ja, das reicht manchmal. Ein Beispiel: Deutsche Hooligans hatten englische Fans in einer Bar in Frankfurt angegriffen. Am Tag danach sammelten sich 300 Engländer vor einer Kneipe um die Ecke. Es war klar: Sobald deutsche Fans auftauchen, gibt es eine Schlägerei. Als das Gerücht aufkam, deutsche Hooligans seien im Anmarsch, setzten sich 300 betrunkene englische Fans in Bewegung, um sich mit den Deutschen zu prügeln. In diesem Moment fuhr die Frankfurter Polizei an den Engländern vorbei und machte auf Englisch die Lautsprecherdurchsage: "Geht doch bitte zurück zur Bar, es gibt kein Problem. Das ist nur ein Gerücht." Alle englischen Fans sind umgedreht und einfach zurück in die Kneipe gegangen. Anderswo wäre diese Gruppe vielleicht mit bewaffneten Einsatzkräften konfrontiert worden und die Situation wäre eskaliert.
Was halten Sie von Stadionverboten?
Das kommt auf die Art der Stadionverbote an. Sie können funktionieren, wenn sie wohlüberlegt eingesetzt werden. Ich weiß, dass Fans in Deutschland einen ziemlichen Groll hegen gegen Stadionverbote, und ich denke, dass dieser Groll in gewisser Hinsicht gerechtfertigt ist. Denn Stadionverbote greifen in das Grundrecht der Freizügigkeit ein und sollten deshalb von einem ordentlichen Gericht verhängt werden. So wie bei uns in Großbritannien, denn dann gibt es auch ein Berufungsrecht. In Deutschland wird das ganz anders gehandhabt, hier verhängen die Vereine oder der DFB selbst die Verbote, ohne Möglichkeit der Berufung. Es ist aber sehr wichtig, dass solch ein Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt wird und verhältnismäßig eingesetzt wird. Unser Argument ist: Wenn solch drastische Maßnahmen wie Stadionverbote oder Einschränkungen der Grundrechte nötig sind, dann sollte vielleicht die Polizei ihr Verhalten ändern. Polizeieinsätze müssen angemessener ablaufen - das wäre die einfachste Lösung des Problems.
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