Prêt-à-porter: Bereit für die Massenorgie
■ Die Erregung steigt: Mode von van Noten, Chanet, Mugler
Inzwischen gibt es so viele Shows am Tag, daß man kaum noch hinterher kommt. Heute geht es deshalb notgedrungen etwas im Galopp durch das Programm. Dries van Noten liegt mit seiner Kollektion ein wenig außerhalb des Trends, der sehr scharf gezeichnete Silhouetten propagiert. Seine Kostüme und Kleider sind meist knapp knielang und etwas ausgestellt. Kurze enge Pullover zu den Röcken, die Jacken sind entweder tailliert oder kurz und weit geschnitten, wie in den Sechzigern die Jacken von Doris Day. Die Models sehen aus wie Kinder, die sich Mamas Kleider aus dem Schrank geholt haben – wobei Mama zufällig die gleiche Größe hat wie die Tochter. Das liegt zum einen daran, daß diese engen Pullover, die früher getragen wurden, um einen üppigen Busen zu betonen, jetzt auf flachen Leibern liegen. Zum anderen an den hochhackigen Pumps, die diese Hängerkleidchen-Silhouette ergänzen.
Bei Mario Chanet ging es zu wie bei David Copperfield. An vielen Röcken und Kleidern waren Drapés, die man auflösen konnte. Das Modell zog an der Schnur und schwupps – wurde aus Rock und Bluse ein Kleid, oder ein kurzes Kleid entpuppte sich als langes. Seine Kollektion ist zum Teil sehr typisch für die kommende Wintermode: schwarze Lack- und Nylonmäntel, eng gegürtete Jacketts und schmale knöchel- oder knielange Samt- und Satinkleider hat fast jeder im Programm.
Dorothee Bis zeigte Mohairpullover zu Satinröcken in leuchtenden, kräftigen Farben und schillernde Lurexkleider. Sie wollte sich noch nicht ganz vom Mini verabschieden. Einige Kostüme waren aus Plastik, das mit einem Pythonmuster bedruckt war. Diese Idee hatte auch Popy Moreni, die schwarze Plastikmäntel mit einem Kroko-Muster vorführte. Daneben gab es Anzüge und Kostüme mit geometrischen Mustern, die variiert wurden. So hatte etwa ein graues Jackett vorn breite weiße Streifen, während den Rücken und die Taschen- und Ärmelbesätze schmale graue Streifen auf weißem Untergrund zierten. Zwei Damen in den vordersten Reihen sorgten dafür, daß bei dieser Show noch mehr geklatscht wurde als bei Dior.
Am Abend fand dann im Cirque d'hiver das erste große Spektakel dieser Saison statt. Thierry Mugler, Liebling der Fetischisten und die Kapazität, wenn es um breite Schultern geht, feierte sein 20jähriges Jubiläum. Die Show war gut – muskulöse Gogo-Tänzer und ein Gastauftritt von James Brown –, bot aber weniger neue Einfälle als vielmehr eine Retrospektive seiner bisherigen Kollektionen. Die hatten es immerhin in sich. Muglers hysterischer Glamour läßt sich nur mit Superlativen beschreiben: Dramatische bodenlange Taftcapes gleiten zur Erde und enthüllen superenge glänzend-schwarze Latexanzüge, die noch den Kopf umschliessen. Über bleistiftschmalen, knielangen Röcken schnürt die Jacke herrisch wie ein Korsett die Taille ein. Die Schöße der Jacken stehen derartig steif vom Körper ab, daß man sich bei einer Kollision vermutlich blaue Flecken holt.
Eine kuriose Neuauflage erlebt der Humpelrock: bodenlang und um die Knie so eng, daß die Modells mit ausgebreiteten Armen über die Bühne trippeln müssen und das, obwohl die Röcke bis fast zu den Knien geschlitzt sind! Dazu Pumps mit 15 cm hohen Stilettoabsätzen. Wieder kommt ein Modell in einem schweren langen Cape auf die Bühne. Der Umhang fällt, ein Chiffonkleid fällt, und vor uns steht ein schwer gepanzerter, glitzernder Ritter. Die Rüstung besteht aus silbernem Plastik. Ausgespart sind Bauch, Oberschenkel, Pobacken und Schulterblätter. Das Publikum rast, James Brown tobt oben auf der Bühne, und die Gogo-Tänzer fallen in ekstatische Zuckungen. Die Zuschauer sehen aus, als seien sie bereit für eine Massenorgie. Aber dann ist die Show zu Ende und die aufgelösten Gesichter werden verlegen wieder in die gewohnt gleichmütige Form zurechtgerückt. Anja Seeliger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen