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Prêt-à-porterDie neualte Ei-Silhouette

■ Doch verwirrend: Bauschige Falten, Hüte und ein Cul de Paris bei Yamamoto

Es gibt etwas Neues aus Paris zu vermelden, eine neue Silhouette, garantiert älter als dieses Jahrhundert. Eigentlich wurde sie seit dem Empire nicht mehr gesehen: Das Ei. Lolita Lempicka hat es, Lacroix hat es, Gigli hat es. Fast alle haben es.

In seiner schlichtesten Version ist es einfach ein gerades weites Kleid, dessen Stoff durch einen Gürtel, der eine gute Handbreit über der natürlichen Taille liegt, zusammengerafft wird. Durch die Raffung wirft der Stoff große Falten, die um die Körpermitte am bauschigsten sind und unten wieder etwas zusammenlaufen. Man kann diesen Effekt noch verstärken, indem man das Kleid zum Saum hin etwas verengt. Den Körper unter diesem Kleid kann man nicht einmal mehr erahnen. Bei den meisten Designern war diese Kleiderform eine Ausnahme, niemand hatte mehr als drei davon im Programm. Ausgenommen Yamamoto. Was logisch ist.

Der Beginn seiner Schau sorgte allerdings erst mal für eine gut kalkulierte Verwirrung. Das erste Kostüm bestand aus einem schmalen Rock und einer taillierten Jacke aus einem sehr festen Leinenstoff, so daß die stark ausgearbeiteten Hüften auch ohne jede Polster abstanden. Es folgte ein wadenlanges Kleid mit einer Art Cul de Paris! Und das nächste Kleid hatte gar eine Jacke, die betont am Busen ausgearbeitet war.

Der Hut zum Cul de Paris bei Yamamoto Reuter

Es war der letzte Gruß an Vivienne Westwood, deren Hüftpolster und Krinolinen eine Inspiration für diese Kollektion gewesen sein mögen. Yamamoto konnte sich diesen Gruß leisten, denn außer den Verstärkungen unter den Kleidern erinnerte fortan nichts mehr an seine britische Kollegin.

Zurück zu dem Kleid mit dem Cul. Es war schwarz, schulterfrei und vorne auf dem enganliegenden Oberteil in unzählige kleine Falten gelegt, die schräg verliefen, wie bei einem griechischen Gewand. Darunter bauschte sich ein voluminöser Rock, der sich der Beschreibung entzieht, obwohl ich ihn in mindestens fünf verschiedenen Variationen gesehen habe. Der Rock lag über einer steifen Einlage wie über einer Krinoline. Der Stoff war gleichzeitig gewickelt und drapiert, so daß er vorne an einer Stelle wie das Oberteil in kleine Längsfalten fiel, an den Seiten aber schwere Querfalten warf und über dem Hintern auf einem kurzen Steg aus brettsteifem Organza aufgetürmt lag. Das Model trug kurze Shorts und stand ansonsten hinten im Freien.

Bei einem anderen Kleid saß die Taille des Kleides auf den Rippen und der Rock bauschte sich zu einem riesigen – Ei. Immer wieder anders drapiert und gewickelt hatte der Rock einmal die Form einer riesigen Glocke, ein andermal sah er aus wie ein großer runder Papierlampion. Auch die Länge war unterschiedlich: bodenlang, bis zum Knie oder kurz wie ein Ballettröckchen. Obwohl die Oberteile der Kleider eng anlagen, preßten sie weder die Taille zusammen, noch schnürten sie den Busen hoch. Außer in dem oben beschriebenen Kleid sah man auch die Beine nicht. Die kurzen Kleider wurden über schmalen Hosen getragen.

Ein Kleid steht üblicherweise im Dienst des Körpers. Es soll seine Linien betonen oder gar neu formen. Yamamotos Kleider leisten diesen Dienst nicht. Unter einem oval gebauschten Rock, der noch dazu über der Taille ansetzt, kann man die Körperform darunter nicht einmal mehr erahnen, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, daß diese Form bei den anderen Designern nur als spielerische Abwechslung auftauchte. Wo das Kleid nicht mehr einfach zum Diener der Trägerin degradiert wird, bekommt es ein eigenes Gewicht. Es tritt wie eine eigenständige Persönlichkeit neben die Trägerin.

Und diese Eigenständigkeit, dieses Für-sich-stehen-Können haben bei Yamamoto selbst Kleider aus windeldünnem durchsichtigem Baumwollcrêpe. Da flattert nichts einfach herum, sondern je nach Schnitt und Material bewegt sich jedes anders. Diese Bewegungen sind wie Stimmungsausdrücke: Das eine Kleid wellt sich sanft beim Gehen, das andere schwingt melancholisch. Das Publikum reagierte mit einer stehenden Ovation. Anja Seeliger

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