Prêt-à-porter: Ausstrahlung ist eine Gottesgabe
■ Üppige Hofroben bei Lacroix, schlicht-schöne Kleinmädchenkleider von Galliano
Christian Lacroix muß sich die Hölle als einen Ort vorstellen, an dem er gezwungen wird, schlichte weiße Trapezkleider zu entwerfen. Bei ihm ist alles verschwenderisch bedruckt mit Ornamenten aus Kaschmir, Prince-of- Wales-Karos und Blumenmustern nach den Motiven flandrischer Maler.
Ein grüner Taftrock hatte rosa Streifen, durch die wiederum ein schmaler grüner Streifen verlief. Dazu kam eine reichlich mit blauen und grünen Blüten bedruckte rosafarbene Jacke. Der gleiche rosa-grün gestreifte Rock tauchte noch einmal auf, diesmal zusätzlich mit kleinen Silberplättchen übersät. Dazu ein senffarbener kurzer Pullover und eine hüftlange senffarbene Strickjacke. Man sieht ihn förmlich vor diesem Ensemble stehen, wie er die Augen zusammenkneift und nachdenklich murmelt: Sehr hübsch, aber so – schlicht. Und dann appliziert er riesige Blumen auf Pullover und Jackenärmel und wirft anschließend noch ein Pfund Glitzer darüber. Jetzt ist es richtig.
Lacroix' Kleider erinnern an Hofroben, bei denen die Üppigkeit der Ornamente und die Kostbarkeit des Stoffes die Stellung am Hof symbolisierte. Das ist eiNadja Auermann trägt Lacroix
Foto: Reuter
ner höfischen Gesellschaft, wie sie sich im Caroussel versammelt, durchaus angemessen, wo uniformierte Bedienstete den Zuschauern einzeln ihre je nach Bedeutung abgestuften Plätze anweisen. Und wo man umgeben ist vom stehenden niederen Stand.
John Gallianos Name hat inzwischen einen Glanz, der kaum mehr von dieser Welt ist. Für die Franzosen ist er der Messias, der im nächsten Jahr Givenchy und damit der französischen Mode insgesamt Ruhm und Ehre einbringen wird. Aber auch die übrige Presse behandelt ihn mit fast liebevollem Respekt. Amerikas einflußreichste Modezeitschrift Women's Wear Daily etwa dachte gar nicht daran, ihn dafür zu kritisieren, daß er nur Abendkleider zeigte. Vielmehr würdigte der Autor Gallianos Bescheidenheit und ermutigte ihn, nächstes Mal auch seine Tagesgarderobe zu zeigen. Auch in seiner britischen Heimat wurde Galliano, Sohn eines aus Spanien eingewanderten Klempners, niemals mit der Häme überschüttet, der sich Vivienne Westwood zeitweise ausgesetzt sah.
Für seine Schau war auch mit Mord und Totschlag keine Karte mehr zu bekommen, also ab in den Showroom. Die Kollektion bot nicht viel Neues. Es gab einmal die berühmten Bias-cut-Kleider aus Chiffon, Taft oder Seide. Eines war hellblau und hatte einen Volant, der wie eine Girlande aus Blütenblättern um den Ausschnitt lag und vor der rechten Schulter in eine große Rose gelegt war. Die Taftkleider schmiegten sich eng an den Körper und hatten riesige Schleppen, die nicht quer, sondern längs über den Rock angesetzt waren, immer breiter wurden, bis sie weit auf dem Boden schleiften. Dazwischen Ballettmädchen in leicht verrutschten Häkelcorsagen. Darunter reichte ein quer drapierter Hauch von Tüll bis knapp auf den Oberschenkelansatz, und hinten erhob sich ein riesiges Tüllbüschel wie der Schwanz eines prächtigen Vogels.
Im Grunde macht Galliano Kleider für kleine Mädchen mit großen Träumen. Das ist absurd (bei L'Eclair hängt ein schlichtes graues Tagkleid aus der letzten Kollektion im Schaufenster, das weit über 8.000 Francs kostet) und schön. Man sieht bei den Schauen manchmal solche Mädchen. Eine kleine Japanerin hatte bei Yamamoto nur einen Stehplatz. Sie war lustig, aber nicht teuer gekleidet. Die Platzanweiser, sonst sehr streng, rissen sich fast ein Bein aus, um ihr einen Platz zu besorgen. Als die Schau anfing, saß sie in der ersten Reihe, und ihre ganze Haltung besagte, daß dies der einzig angemessene Platz für sie war. Eine solche Ausstrahlung ist ein Gottesgeschenk. Sie verweist Reichtum und gesellschaftlichen Rang mühelos auf einen zweiten Platz. Anja Seeliger
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