Prêt-à-porter: Schwarz und unschuldig und schwarz
■ Wie ein Karnickel gerannt, dann Standing ovations für YSL: Einfach weil er noch lebt!
Es ist wie ein Alptraum. Ich renne und renne, aber dieser Metrogang nimmt überhaupt kein Ende. Normalerweise habe ich passable Manieren, aber an diesem Morgen kommt mir kein Pardon über die Lippen. Bitte, lieber Gott, laß ihn mich nicht verpassen. Nicht schon wieder! Endlich kommt der Ausgang, ich drängel mich rücksichtslos vor und jage hakenschlagend wie ein panisches Karnickel durch den Louvre. Mindestens hundert Meter vor dem Eingang wedel ich den Ordnern meine Eintrittskarte entgegen – großer Gott, wie peinlich, als würde man seine Rolexuhr hochhalten – und werde ohne weitere Umstände durchgewunken. Es hat schon angefangen! Noch etwas Gedrängel und dann – verschwitzt, und die Wimperntusche vom letzten Tag in den Augen – habe ich endlich freie Sicht.
Guten Morgen, Monsieur Saint-Laurent!
Sagen Sie jetzt nichts. Ich weiß, seine Kleider sind inzwischen so altbacken, daß sie nur noch im Faubourg Saint-Germain getragen werden. Und doch!
Zu sehen gab es dies: Schmale schwarze Kleider, die kurz vor dem Knie endeten, mit nichts als einem kleinen Samteinsatz als Dekoration. Karierte Hemdblusenkleider: Bei einigen war auf Hüfthöhe ein Faltenrock angesetzt, andere waren einfach gerade, mit einem kleinen Gürtel in der Taille. Schwarze Samtkleider mit einem runden Ausschnitt, der nur eben das Schlüsselbein entblößte. Der Rock war glockig und darunter blitzte ein rosa Petticoat oder etwas schwarze Spitze hervor. Der berühmte Smoking. Ein langer schwarzer Rock mit einem hüftlangen, enganliegenden, aquamarinblauen Pailletenpullover. Dann ein langer schwarzer Rock mit einem rosa Pailletenpullover, dann noch einer, noch einer, noch einer, es hörte nicht auf. Eine Ewigkeit lang zogen schwarze Röcke vorbei, mit pailletenbesetzten Oberteilen, manche lang, manche kurz, manche vorne geknöpft oder in der Taille gegürtet. Die Leute ringsherum schwatzten, lachten und kramten in ihren Handtaschen. Ich konnte meine Augen nicht von dem Laufsteg abwenden. Es war wie in dem Metrogang, ein endloser Alptraum.
Doch plötzlich: Stille. Yves Saint-Laurent kam heraus.
Eine Sekunde schien es, als würden alle die Luft anhalten. Dann standen sie auf, alle! Und klatschten. Es war ein Tumult, die Leute rasten, während Saint-Laurent über den Laufsteg wankte: eine Ruine, ein aufgedunsenes Wrack, das sich wie ein Automat bewegte. Nur nicht so sicher. Als er zurückging, sah ich, wie er die Lippen bewegte, als würde er leise vor sich hinmurmeln. Wußte er überhaupt, wo er war?
Ich weiß nicht genau, aus welchem Grund ihm die Zuschauer diese Standing ovations darbrachten. Vielleicht tun sie das immer, einfach weil er noch lebt. Aber hätte es dann ein so ergreifender Moment sein können? Denn es war ergreifend. Es gab noch einen anderen Grund für diesen Applaus, den überraschendsten: die Kleider. Ja, sie waren altmodisch und manchmal sogar spießig. Aber sie hatten etwas, für das mir nur ein Wort einfällt: Unschuld. Es schien, als würde Saint- Laurent fest daran glauben, daß eine Frau nur wenig braucht, um schön zu sein. In einem einfachen geraden Kleid ist sie gut angezogen. Wenn sie im Café verabredet ist, schlingt sie sich einfach einen Gürtel um die Taille, schoppt das Kleid etwas hoch – und schon hat sie diesen Pariser Chic. Dasselbe am Abend: ein schwarzer Rock, den man auch tagsüber anziehen könnte, plus ein paar Pailleten auf dem Pullover, nicht mehr, aber auch nicht weniger – und jede ist eine Königin. Anja Seeliger
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