Prêt-à-porter: Austreibung des Plätzchenduftes
■ Zynisch, brillant und zum Heulen: Höhere Töchter marschieren zum Tee
John Gallianos erste Prêt-à- porter-Kollektion für Givenchy versprach eine Sensation — im guten wie im bösen. Würde es sein wie in den Sechzigern, als Yves Saint-Laurent seine erste eigene Kollektion vorstellte oder wie Karl Lagerfelds erste Schau für Chanel zehn Jahre danach? Im Nachhinein kommt man sich etwas lächerlich vor: Was genau hat man eigentlich erwartet? Eine Revolution? Die Frage war eher, ob es auch im Jahre 1997 noch möglich ist, etwas Hergebrachtes zu verändern. Antwort: Nein.
Die Mode ist ein hervorragendes Testfeld für Veränderungen. Givenchy hat einen großen Ruf wegen seiner klassischen Mode, die eine Dame zum Tee trägt. Der junge britische Designer Galliano hat bisher Kollektionen präsentiert, die romantisch, abenteuerlich und sogar wild waren. Jetzt aber hätte man weinen können, so kläglich waren seine Versuche, den klassischen Givenchymodellen etwas von dieser Romantik überzustreifen, ihnen diesen kultivierten Plätzchenduft auszutreiben. Er versuchte es spanisch: Klassische Nadelstreifenanzüge mit Goldpolstern auf den Schultern, wie sie auf die Jacken der Toreros genäht sind. Die Polster konnte man abnehmen, und was blieb, war eine schmale Hose mit hohem Bund und eine kurze Jacke. In Grau. Die Tageskleider waren kurz, groß gepunktet und mit spanischen Volants am schräggeschnittenen Saum versehen. Kurze Strickkleider hatten Lochmusterbordüren. Und dann gab es Nadelstreifenanzüge mit kurzen taillierten Jacken — darunter ein einteiliger hautenger Hosenanzug ohne Schultern. Die richtigen Kleider für höhere Töchter, die alles versprechen und nichts halten.
Das eigentliche Ereignis fand 500 Meter von Givenchy entfernt vor dem Hotel George V. statt: Teenager, komplett aus dem Häuschen, die fast in Klumpen geballt an den Absperrgittern hingen und aus vollem Halse sangen. Andere hüpften rhythmisch auf Autodächern herum. Vernünftig aussehende Erwachsene reichten ihre kleinen Kinder nach vorne, an gänzlich fremde Menschen, die sie über das Gitter hoben und auf der anderen Seite absetzten. Da standen die Kleinen dann und guckten ganz verdutzt. Plötzlich ging ein Ruck durch die Menge und dann — ein Schrei des nackten unverfälschten Wahnsinns: Michael!!! Ja, Michael Jackson. Er kommt nach vorne, er nimmt ein Kind auf den Arm, er trägt eine schwarze Atemmaske, er küßt ein Mädchen, nichts mehr zu sehen, Tumult, Aufruhr, panische Gesichter der Bodyguards... Und schon ist er weg.
Karl Lagerfeld muß jubiliert haben, als er seine Chanelkollektion entwarf. Militärmode? Was für eine einmalige Gelegenheit! Niemals wieder würde er so viele Goldknöpfe auf einem Mantel unterbringen können. Jacken, Mäntel, Kleider, Anzüge — alles war mit Goldknöpfen besetzt. Dazu breite goldene Gürtel, die an die Schärpen der Südstaatenoffiziere erinnerten. Selbst die goldenen Kleider hatten goldene Gürtel! Der Stoff sah oft aus, wie stark zerknittertes Goldpapier. Das glänzte und schimmerte! Einige goldene Kleider waren noch zusätzlich mit bunten funkelnden Pailletten besetzt.
Anders als beim letzten Mal schickte er nicht mehr ein Dutzend Models gleichzeitig über den Laufsteg — diesmal waren es zwei Dutzend. Die Fotografen wurden schier verrückt. Von vier Seiten strömten sie herbei: eine Abteilung in schwarzen Samtkleidern, eine in Goldkleidern, eine in Mänteln, eine in Anzügen und Kostümen. Es war wie in einem phantastischen Kramladen. Schwarzer Samt soll es sein? Hier, wie wär's mit diesem Etuikleid? Oder lieber ein Kostüm? Lange Jacken mögen Sie nicht? Dann nehmen Sie doch das mit der kurzen! Es war eine verrückte Schau: Zynisch und brillant. Anja Seeliger
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