Prêt-à-porter: Autonomer Jackenbusen
■ Zauber der Proportionen bei Yohji Yamamoto und Helmut Lang
Wie immer werden die Erwartungen nach allen Regeln der Kunst geschürt. Plötzlich geht das Licht aus. Ein kurzes kollektives Luftanhalten, Hälserecken, und dann, endlich, öffnet sich der Vorhang, und das erste Model tritt heraus. Sie trägt ein Kostüm aus schwarzem Wollstoff: eine taillierte Jacke und ein leicht ausgestellter knielanger Rock. Der Rocksaum, die Ärmel und der Kragen sind mit weißem Pelz besetzt.
Es ist wunderschön, von großer Eleganz und – Liebenswürdigkeit. Letzteres liegt am Busen. Er ist deutlich herausgearbeitet, aber er umkurvt die natürliche Rundung nicht auf die klassische Art. Er ist mehr locker drumherumgearbeitet. Offen gesagt, ähnelt er mehr einer Ausbuchtung, einer Beule oder Birne als einer Kurve. Der Jackenbusen sitzt auch nicht hundertprozent dort, wo er eigentlich hingehört.
Manchmal ist er eine Spur tiefer gerutscht. Was soll's! Es ist gar nicht seine Absicht, die natürlichen Formen zu verdoppeln oder hervorzuheben. Seine Würde liegt darin, daß er ein vollkommen autonomes, von Repräsentationspflichten entbundenes Detail darstellt – wie ein Kragen oder eine Falte. Es liegt am Busen, daß man beim Anblick dieses eleganten Kostüms lächeln muß.
Yohji Yamamoto hat auch bei dieser Kollektion, wie schon im Oktober, Techniken der Haute Couture übernommen. Das heißt, daß er mit der größten Perfektion (ein Teil der Nähte ist handgearbeitet) das Unperfekte in Szene setzt. Bei einem Tweedkostüm mit Fischgrätmuster wird die Jacke seitlich geschlossen. Oben ist sie einfach gerade abgeschnitten.
Dort legt sie sich in Falten, und die Kante rollt sich ein wenig über die Schulter. Obwohl das mit griechischem Faltenwurf überhaupt nichts zu tun hat, sieht es auf eine antike Art klassisch aus. Und gleichzeitig komisch: weil die Jacke mit ihrer ungesäumten, schon etwas ausgefransten Oberkante ein bißchen an eine Decke erinnert.
Das krasse Gegenstück dazu ist die Kollektion von Helmut Lang. Lang macht unwahrscheinlich schöne Anzüge. Sie sind so schlicht, wie ein Anzug nur sein kann, und sehen trotzdem besser aus als die der Konkurrenz – bei weitem besser. Ich glaube, es liegt an den Proportionen: Jacke und Hose stehen immer in einem perfekten Verhältnis zueinander.
Trotz einer gewissen modernen Eckigkeit haben sie nichts von dieser „Hoppla, jetzt komme ich“-Bulligkeit, die zum Beispiel Prada-Anzüge oft ausstrahlen. Man fühlt sich eher an die Elogen auf Beau Brummell erinnert, der von seinen Zeitgenossen als der eleganteste Mann seiner Epoche gerühmt wurde. Für ihn wurde das Wort „Dandy“ erfunden. Seine Anzüge, meistens schwarz, waren makellos geschnitten ohne das geringste überflüssige Detail. Die Hemden strahlend weiß und tadellos geplättet. Um das Haar in eine Windstoßfrisur zu legen, wurde jede Locke einzeln gerichtet. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Das trifft auch auf die Anzüge von Helmut Lang zu.
Lang hat seinen Anzügen, die in diesem Jahr schmal geschnitten waren, mit Hosen, die auf der Hüfte sitzen, einen Kummerbund hinzugefügt. Das ist ein breites Taillenband mit drei oder vier waagerechten Falten, das in den sechziger Jahren bei den Männern die Smokingweste verdrängte.
Langs Kummerbund ist nachlässig um die Hüften geschlungen. Aber diese Nachlässigkeit ist so akkurat appliziert wie die „sturmzerzausten“ Locken von Brummel. Undenkbar, darüber zu lächeln. Das wäre geradezu blasphemisch! Lang ist ein geheimer Liebhaber der Geometrie. Lächeln ist Unordnung. Anja Seeliger
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